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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0405

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Weihnacht-Abend in Wien.

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Wir schämten uns des filzigen Landsmannes, gingen eilends
fort nnd trieben, um die Ehre nnsrer badischen Heimat zu retten, einen
schönen Christbanm auf, kauften das nötige Zubehör und eine niedliche
Puppe. Nachdem wir nnsre Schätze heimgebracht, riefen wir die Mutter
und baten sie, uns den Baum schmücken zu helfen. Mit zitternden
Händen, Thränen in den Augen, stand sie uns bei, die Lichter wurden
angezündet und geklingelt. Das Kind kam schüchtern herein, zuerst
sprachlos vor Staunen über den leuchtenden Baum, als wir ihr aber
die Pnppe zeigten, die ihr beschert war, stürzte sie darauf zu und drückte
sie fest an ihre Brnst mit dem Schrei: „a Gretel! a Gretel!" Der
Alte war hinter ihr hereingekommen und lachte mit dem ganzen breiten
Gesichte. Wir ermahnten ihn, sich zu bessern und in Zukunft weniger
filzig zu sein.

Vergnügt, als hätten wir die schönste Bescherung in der Heimat
mit den Unsrigen gefeiert, gingen wir zu unsern Bekannten nnd tranken
„türkischen" Wein, Negodiner aus Serbien, das damals noch zur Türkei
gehörte; erst viele Jahre nachher habe ich diesen gnten Wein wieder
gekostet in Belgrad, das inzwischen Hauptstadt des Königreichs Serbien
geworden war.

Kußmaul, A., Jugenderinnerungcn.

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