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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0407

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Prag.

387

Stadt herab, namentlich wenn die Sonne warm auf dem Thalkessel
und der gefrorenen Moldan lag.

Auf einem unsrer Spaziergänge zum Hradschin sah ich zuerst
einen Böhmen in der wenig kleidsamen tschechischen Nationaltracht. Es
war ein vornehmer Herr, er verschwand in einem der Paläste, die dort
herabschauen. Bald nachher begegnete ich in der Stadt dem Professor
der Medizin Hamernik in der gleichen Tracht, sie stand dem beleibten
Sonderling mit dem kurzen Hals zwischen den breiten Schultern schlecht,
er stolzirte aber gar selbstgefällig darin einher.

Die meisten Gebildeten, die wir auf der Straße sprechen hörten,
sprachen deutsch, die Leute der niederen Klassen tschechisch. Der Haß
der tschechischen Bevölkerung gegen die Deutschen als ihre Unterdrncker
wurde bereits lebhaft geschürt, in Wien aber hatten unsre österreichischen
Bekannten behauptet, gerade die Tschechen lieferten Metternich seine
gefügigsten Beamten, gefährlicher noch, fügten sie scherzend hinzu, als
diese, seien die böhmischen Köchinnen, die mit erstaunlichem Geschick
die guten Wiener in ihre Netze zu bringen verstünden.

Bekanntlich schwärmten die deutschen Freiheitssänger von 1848
sür alle unterdrückten Nationen, für Griechen und Polen, Tscherkessen
und Serben, und feierten ihre Helden im Lied und Epos. Ein Deutsch-
böhme aus sächsischem Stamme, Alfred Meißner, 1822 in Tepliz ge-
boren, besang den grimmigen Hnssiten Ziska mit großem Beifall 1846,
das Gedicht erschien in Dresden und erlebte mehrere Auslagen. Er
hatte Medizin studiert und war ein Schüler Oppolzers, den er sehr
verehrte. Jch begegnete ihm eines Tags in dessen Arbeitszimmer im
Krankenhause; er war gerade von Paris zurückgekehrt. Das hübsche
Gesicht fiel mir auf, sein eleganter Pariser Anzug stach von dem wenig
modernen des schlichten Klinikers ungemein ab. Erst nachdem er sich
verabschiedet hatte, sagte mir Oppolzer: „Der junge Herr warvn. Meißner,
der den Ziska besnngen hat, sein Gedicht soll schön sein, es wird ihm
aber wenig Frennde in Oesterreich machen."

Wir wohnten und speisten mit vielen andern jungen Aerzten im
Erzherzog Stephan. Zwei davon, gnte Deutsche, waren große Frei-
heitsschwärmer und machten die Bekanntschaft eines ledigen Advokaten,
eines eingefleischten Tschechen, der gleichfalls im Gasthause wohnte. Er
 
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