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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0410

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Die Prager Fakultät.

vorzüglichsten Abhandlungen der Wiener und Prager Koryphäen ge-
lesen und ausgezogen.

Der berühmteste und -beliebteste Lehrer Prags war Oppolzer.
Die herzliche Güte, womit er uns empfing, machte mich fast verlegen.
Jch gab in einem Brief an meinen Vater den Empfindungen hierüber
mit den Worten Ausdruck: „Als Kollegen und Freunde, ja als Eben-
bürtige empfing uns der große Meister, nicht als medizinische Abc-
schützen und Jgnoranten, wie wir es wirklich sind."

Johannes Oppolzer, ein Deutschböhme ans dem Städtchen Gratzen,
war gerade 40 Jahre alt und stand auch als Forscher und Lehrer
anf der Höhe seines Lebens. Er hielt morgens von 9—10L2 innere
Klinik, nachdem er in seiner großen Abteilung mit 150 Betten im
Krankenhause die Visite gemacht hatte, bei der ich ihn einigemale be-
gleitete. Seine Klinik verfügte über 40 mit ausgesuchten Kranken
belegte Betten. Die Vorträge hielt er lateinisch; die Märzrevolution
machte kurz nachher dem Latein in den deutschen Kliniken, wo es noch
etwa in Gebranch war, ein Ende. Jch habe mich als klinischer
Lehrer der lateinischen Sprache nur einmal bedient, in Freiburg, um
von dem Kranken, einem Gärtnerburschen, nicht verstanden zu werden,
erreichte jedoch meinen Zweck nicht. Er gab auf alle Fragen mit
stereotypem Lächeln einfältige Antworten, die den Unmut meiner
Schüler erregten. Jch beschwichtigte sie mit den Worten, der Arzt
dürfe am Krankenbette nie die Geduld verlieren, der kranke Jüngling
sei zwar ein großer Esel, aber sie sollten bedenken, er habe nicht wie
sie das Glück gehabt, in einem Gymnasinm klassische Bildung zn em-
pfangen. Darauf lachte der Bursche ganz unbändig. Jch wurde jetzt
böse und fragte, warum er so einfältig lache? „Ei!" gab er zur Ant-
wort, „ich muß lachen, weil ich auch Gymnasiast gewesen bin."

Die Vorträge Oppolzers waren einfach in Form und Jnhalt
und hoben das Wesentliche wohl geordnet und klar hervor. So, wie
der ganze Mann schlicht, bescheiden und doch sicher, unbedingtes Ver-
trauen erweckend, vor uns stand, prunkte auch sein Unterricht nicht
mit schönen Reden und geistreichen Hypothesen. Was er gab, war
gutes, nahrhaftes Brot. Ebenso lehrreich, wie seine Vorträge und
Demonstrationen, waren die klinischen Sektionen, die der Prosektor der
 
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