Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0423

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Eiiüritt in das badische Heer.

403

strömten Leute herbei, zwei bis dreitausend, in der Mehrzahl Land-
leute in ihren malerischen Volkstrachten; die Versammlung glich einem
schönen Volksfeste. Alles schwelgte in wonniger Erwartung des Manna-
segens, den der plötzlich angebrochene Völkerfrühling über das Vater-
land ausschütten werde. Die Reden atmeten Zuversicht und besonnene
Mäßigung. Welcker, der bewährte Kämpfer für Volksfreiheit und
Bundesreform, mahnte nicht zu vergessen, daß die deutsche Ver-
sassungsfrage nicht in dem südwestlichen Winkel am Rhein entschieden
werden könne. Sogar Hecker, der ungestüme Führer der Roten,
hielt seine Freunde von überstürzten Anträgen zurück. Bedenklich
war nur am Schlusse die Ernennung eines Landesausschusses neben
dem gesetzlichen Organe der Volksvertretung, der zweiten Kammer, und
die Zusammensetzung des Ausschusses aus 16 Mitgliedern der äußer-
sten Linken unter Führung Heckers, er sollte die errungnen politischen
Schätze hüten und mehren. Allenthalben im Lande begannen sich
Volksvereine zu bilden und übten sich Freiwillige in den Waffen, die
Vereine wurden dem Landesausschusse unterstellt.

Schon acht Tage nach dieser ersten großen Volksversammlnng,
am 26. März, wurde eine zweite in dem Schloßhof zu Heidelberg
abgehalten, die vorzngsweise von Bewohnern der rechts- und links-
rheinischen Pfalz besucht wurde und einen andern, entschieden revolu-
tionären Charakter trug. Die Partei des Advokaten v. Struve, der
zum fanatischen Jakobiner geworden war, schickte von Mannheim ihre
tollsten Brandredner herüber. Zwischen den Reden knallte Schuß auf
Schuß, um die Aufregung zu steigern. Jn den Pausen trat ein junger
Mensch in schwarzem Samtrock und Heckerhut, eine rote, weithin
leuchtende Binde um den Hals, auf die Tribüne, die vor dem Band-
haus aufgerichtet war, blickte ernst und wichtig auf das Volk hernieder,
das den weiten Hofraum ganz anfüllte, und erregte die allgemeine
Neugier, worauf es abgesehen war. Es ist Blind, hieß es, einer der
Getreuen des Bürgers Struve!

Wie in allen Städten und Städtchen des Landes, übten sich auch
in Wiesloch viele junge Leute freiwillig in den Waffen; Freund Bronner
und ich traten in ihre Reihen, exerzierten abends mit der Muskete
und suchten die Ordnung zu erhalten; in dem benachbarten Walldorf
 
Annotationen