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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0437

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Der Winter 1848/49 m Lörrach.

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Jch kannte den Soldaten, er war krank im Hospital gelegen und mir
zu Danke verpflichtet, hatte sich dort auch gut aufgeführt und fchien mir
kein böser, nur ein leichtsinniger Menfch. Zunächst beruhigte ich die
Umstehenden, verhieß Heilung und befahl, mir eine Gießkanne kalten
Wassers vom Brunnen zu holen. Dann, erklärte ich mit lauter Stimme,
würde ich das Haupt des Mannes im Strahl begießen, hoffentlich
genüge dieses erprobte Verfahren, ihn herzustellen. Man brachte das
Wasfer, ich nahm die Kanne zur Hand, und wiederholte die Drohung,
doch verfing sie nicht und ich hielt mich nicht für berechtigt, sie
auszuführen und das eiskalte Wafser über den schweißtriefenden
Menschen mit dem starkklopfenden Herzen auszugießen. Sein Rausch
war offenbar nicht ganz vergangen, feine Zurechnungsfähigkeit ge-
mindert und meine ärztliche Pflicht verbot mir, seine Gesundheit zu
gefährdeu. Was aber thun? Jch wollte meine Diagnose zweifellos
sicher stellen und verfiel im festen Vertrauen, daß der Mann mir dank-
bar ergeben sei, auf eiu Mittel, das mich bös gefährdete, wenu meine
Voraussetzung mich betrog. Jch machte mir an seinen Füßen, er
lag auf dem Boden, zu schaffen und stellte mich so, daß er mich bei
den Bewegungen seiner Beine treffen mußte, er wich aber geschickt ein
wenig aus und schonte mich. Jetzt meiner Sache völlig gewiß, befahl
ich, ihn in das Arrestlokal zu bringen, auf Stroh zu legen, die Thüre
zu schließen und erst morgens zu öffnen, wenn ich wieder käme. Es
geschah. Am Morgen hatte der Soldat seinen Rausch ausgeschlafen.
Er wollte mir weiß machen, daß er an dem fallenden Weh leide. Jch
sagte ihm, er habe mich gestern abend geschont, als ich mich an seine
Füße stellte, dafür wolle ich ihn heute beim Rapport schonen und
alles auf Konto des Weines fchieben; wenn er aber die Krampf-
komödie wiederhole, fo würde ich mit der ganzen Wahrheit herausrücken.

So weit war die Sache klar gestellt, aber es fehlte noch das
Tüpfelchen auf dem i, das mir der Feldscher verschaffte: die un-
gewöhnliche Muskelkrast und Gelenkigkeit verdankte der Simulant
seinem Berufe, er war Seiltänzer.


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