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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0460

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Jn Nastatt.

sie beschlossen, es mir unter der Bedingung mitzuteilen, daß ich gegen
M. davon schwiege. Sie waren einstimmig der Ansicht, daß sie mir
mehr Rücksicht schuldeten, als ihrem Schicksalsgefährten, dessen übeln
Leumund sie überdies kannten. Von diesem Tag an ließ ich den
Mantel in der Stadt, und setzte, wenn ich in die zweite Abteilung
ging, die Dienstmütze auf, schnallte auch den Degen um.

M. wurde wirklich, wie er vorausgesehen hatte, zu Zuchthaus-
strase verurteilt und bald nachher, wie man damals sagte, „nach
Amerika begnadigt." Es vergingen dreizehn Jahre; ich war Pro-
sessor in Erlangen geworden, als ich von Freiburg i. Br. einen Brief
von ihm erhielt folgenden Jnhalts: „Lieber Freund, ich bin aus Amerika
zurückgekehrt, aber die badische Regieruug will nichts für mich thun.
Jch muß mich deshalb an meine Freunde wenden. Schicke mir umgehend
hundert Gulden!" Auf Antwort wartete er selbstverständlich vergebens.

Von Erlangen k863 nach Freiburg berufen, wurde ich zwei
Jahre später Prorektor der Universität. Eines Nachmittags, nach der
Sprechstnnde, trat M. bei mir ein. Jch erkannte ihn sofort, fragte
aber kühl nach Namen und Begehr. Er trug mir nunmehr ein Gesuch
vor und bat um meine Vermittluug als Prorektor. Er habe, wie ich
wisse, Anspruch auf das B.sche Familienstipendium und wolle aufs
neue studieren, die Stiftungskommission aber verweigere es ihm. Er
begreife dies um so weniger, als er der Universität ein wertvolles
Geschenk für die zoologische Sammlung gemacht habe. Jch versagte
ihm meine Hilse. Er hat sie vermutlich auch nicht erwartet, es war
ihm um etwas Andres zu thun. Er holte ein Bändchen „Erinnerungen
aus der Revolution 1849" aus der Tasche und bat mich, es ihm ab-
zunehmen. Jch zahlte ihm den verlangten Gulden, worauf er giug.
Abeuds blütterte ich in dem traurigen Machwerk. Er rühmte darin
sein edles Herz. Es wäre ihm in Raftatt leicht gewesen, aus der
Festung zu entweichen, aber er habe es nicht gethan, um einen unge-
nannten Wohlthäter nicht in Schaden zu bringen. Am nächsten Tag
begegnete ich dem Kustos der zoologischen Sammluug, Professor Fischer,
uud erkuudigte mich, was sür ein wertvolles Geschenk M. ihr gemacht
habe. Er lachte, es bestand in dem Balg eines ganz gemeinen
Storchs. _
 
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