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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0466

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Weitere Erlebnisse in Rnstatt.

übertragen, an dessen Spitze er gegen die Bnndestruppen an der Berg-
straße focht. Die Zuchtlosigkeit seiner Soldaten veranlaßte ihn, den
Befehl niederznlegen. Er fühlte sich krank, blieb unbegreiflicherweise
in Heidelberg, obwohl die Prenßen einrückten; von der Größe seines
Vergehens gegen die Militärgesetze scheint der Unglückliche keinen Be-
grifs gehabt zu haben. Man brachte ihn nach Rastatt in die Kasematten,
von wo er in das Lazarett kam. Das Standgericht hatte ihn bereits
am 25. August zum Tode verurteilt, seinen Sprnch jedoch nach Ber-
lin zur Bestätigung geschickt, obwohl das Gesetz bestimmte, daß die
standrechtlichen Urteile innerhalb der ersten 24 Stunden vollstreckt wer-
den müßten. Erst acht Wochen nachher wurde das Urteil vollzogen.
Jch hatte dem liebens- und bedauernswerten Manne das einzige/mit
nur einem Bette versehene Zimmer, worüber das Lazarett verfügte,
eingeräumt. Alle die Seelenqualen, die Victor Hngo in: „Uos äsn-
Ens jonn8 ä'uia oonänmuo" mit Meisterschaft geschildert hat, sah
ich den Unglücklichen erdulden. Als ich am 20. Oktober morgens in das
Ordinationszimmer trat, überbrachte man mir den letzten Gruß des Ver-
urteilten, am Abend spät war die Bestätigung des Richterspruchs von
Berlin eingetrofsen; vor Tagesgrauen hatte man ihm das Urteil ver-
lesen, festen Schrittes war er zum Tode gegangen.

Man wird es begreiflich finden, daß ich des Rastatter Aufenthalts
und des Militärdienstes überhaupt von Woche zu Woche müder wurde.
Auch wurde insolge der wachsenden Strenge des Festungs-Komman-
danten derLazarettdienst immer unangenehmer und zuletzt lebensgefährlich.

Manche Erleichterungen, die Major v. Weltzien gewissen Ge-
fangenen zugestanden hatte, entzog ihnen sein Nachfolger. Dem Bürger-
meister Sallinger z. B, der am Magen litt, wurde die Erlaubnis ge-
nommen, seine Kost von Hanse zu beziehen.

Als ich eines Morgens zur Visite kam, klagten mir die Kranken,
sie hätten die ganze Nacht ohne Wasser zubringen und Dnrst leiden
müssen, die prenßische Wache hätte am Abend niemand mehr aus dem
Hause gelassen, um Wasser zu holen. Jch suchte den wachhabenden
Unteroffizier auf, um Auskunft zu verlangen. Er saß in der Stnbe
auf der Bauk, rauchte, blieb sitzen und starrte mich unverschämt an.
 
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