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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0472

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452

Kandern.

lichen Landschaft in der badischen Heimat oben bei Basel gedacht, wo
der Rheinstrom nach dem Norden sich wendet und Wiese und Kander,
die munteren Töchter des Schwarzwalds, sich mit ihm vermählen. Der
gesegnete Winkel umschließt die Aemter Lörrach, Schopfheim und Müll-
heim, den südlichsten Teil der altbadischen oberen Markgrafschaft, das
Heimatland Hebels, verklärt von dem Schimmer der Poesie. Ein Volk
alemannischen Stammes, regen und betriebsamen Geistes, bewohnt die
schönen Gauen.

Ein Jahr war gerade verflossen, seit ich mich in dem Städt-
chen Kandern von dem Bataillon Holtz, mit dem ich innig verbunden
gewesen, verabschiedet hatte, um nach den nordischen Marken aufzu-
brechen. Jnzwischen war einer der beiden Aerzte, die in Kandern
praktiziert hatten, weggezogen, man gedachte meiner und forderte mich
auf, die Stelle des Abgegangenen einzunehmen. Jn den ersten Tagen
des März folgte ich dem willkommenen Rufe. Es gelang mir rasch,
Vertrauen und Praxis zu erwerben. Mit rührender Geduld hatte meine
Braut des Bräutigams, des fahrenden Doktors, geharrt, jetzt war der
feste Boden gefunden, worauf ich den eigenen Herd errichten konnte.
Jm August wollte ich mein geliebtes Weib heimführen, da starb plötz-
lich mein Vater, wir mußten die Hochzeit verschieben, bis der Herbst
ins Land zog.

Auf das brausende Epos der Revolution mit dem tragischen Ab-
schluß hinter den Mauern Rastatts folgte ein friedliches Jdyll häus-
lichen Glücks. Meiue ärztliche Thätigkeit gewährte mir volle Befrie-
digung und ein mehr als ausreichendes Einkommen. Ein erstgebornes
Töchterchen, natürlich ein Wunderkind, lachte den glückseligen Eltern
im zweiten Jahre des Kanderer Aufenthalts, ans der Wiege entgegen.
Kein Wunder ist größer, kein Schauspiel entzückender, als die Entwick-
lung einer Menschenseele.

Eine Sache war freilich schlimm bestellt in Kandern. Die ge-
sellschastlichen Verhältnisse waren greulich zerrüttet, die Bürgerschaft
tief gespalten, selbst in dem Schoße der Familien hauste die Zwietracht.
Jn den kleinen Gemeinden des Großherzogtums hatte die Revolution
den bürgerlichen und häuslichen Frieden noch tiefer untergraben, als
in den großen. Jn den Landstädten wohnten die Leute zu nahe bei-
 
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