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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0473

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Kandern.

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sammen, die steten Berührungen wurden zur dauernden Reibung, die
politische Gegnerschaft zur Todfeindschaft. Die nächsten Verwandten
haßten sich oft am grimmigsten. Seit der Aufstand niedergeschlagen
war, hatte sich die Stellung der Parteien von Grund aus verändert.
Die oben gewesen, lagen jetzt unten, besiegt, schwer getroffen, unzählige
Hochverratsprozesse gingen den unbarmherzigen Gang des Gesetzes.

Ein furchtbarer Abend ist mir unvergeßlich. Einer der ange-
sehensten Männer, das Haupt der unterlegenen Partei, der Bürger-
meister der Stadt, war, des Hochverrats angeklagt, in die Schweiz
entflohen. Die mit den Kindern zurückgebliebene Gattin, eine treff-
liche Frau, hatte mich zum Arzte genommen. Der Entflohene, schwer
leidend, kehrte zurück. Nach einigen Tagen kamen die Gendarmen,
das Hofgericht hatte sein Urteil gesprochen, er sollte aus den Armen
von Frau und Kindern in das Znchthaus abgeholt werden. Jch wurde
hinzugerufen und mnßte die bittere Verzweiflung der Familie mit durch-
machen, der Mann, der das höchste Ehrenamt der Gemeinde begleitet
hatte, wurde jetzt schimpflich in das Zuchthaus abgeführt!

Die ersten Jahre nach der Revolution waren im ganzen Lande
schrecklich. Allmählich glätteten sich die Wogen. Unter dem milden
Szepter des Fürsten, dem heute ganz Deutschland Liebe und Verehrung
zollt, kamen wieder besfere Tage, es wurde vergeben und vergessen.
Auch dem Hochverräter von 1849 ist noch ein schöner Lebensabend
geworden, seinen Mitbürgern ward es vergönnt, ihn nochmals an die
Spitze ihres Gemeinwesens zu stellen.

Ungefähr zu derselben Zeit, wie ich, war ein junger Geistlicher,
Hermann Strübe ans Schopfheim, als Vikar nach Kandern gekommen,
ein kluger, klarer Kopf, ein warmes, heitres Herz, ohne die Vorein-
genommenheit vieler seiner Amtsbrüder; ein ausgezeichneter Kanzel-
redner und trefflicher Prediger christlicher Liebe und Versöhnung. Seiner
Jugend ungeachtet schenkten ihm bald beide Parteien Vertrauen. Die
düstere Stimmung im Städtchen hellte sich anf, das gesellschaftliche
Leben gestaltete sich freundlicher. Mir wurde der gleichaltrige Mann
ein treuer Freund und ist einer der wenigen aus der Jugend, die mir
der Schnitter, der uns alle mäht, übrig gelassen hat.

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