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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0476

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456

Land und Leute.

Schon die verschiedene Art, wie die Leute dort und hier wohnten
und ihre Wohnrüume beleuchteten, mußte bei der langen Dauer der
Winternächte und des Winters überhaupt einen verschiedenen Einsluß
aus die Gesittung üben. Die Dörfer des Hügellandes hatten nur
ziegelgedeckte Häuser aus Stein oder Fachwerk mit lichten, getünchten
Stnben, worin das Talglicht und die Oellampe Eingang gefunden hatten;
das Petroleum diente damals noch nicht zur Beleuchtung. Das ruhige
Licht gestattete den Familien an den Winterabenden höhere geistige
Unterhattung durch Lesen von Druckschriften. Anders in den Bergen.
Hier herrschte noch das flackernde Licht der billigen, stark rußenden
Lichtspäne, die der Wälder selbst aus dem Holze seiner Fichten und
Tannen an der Schnitzbank schnitzte. Vom Ruße geschwärzt, glänz-
ten die Wände der Stuben in den geschindelten, strohbedeckten Hütten.
Das unruhige Licht taugte nicht zum Lesen. Brach der frühe Abend
herein, so sammelte sich die Familie in der dunkeln Stube und bald
slammte der entzündete Holzspan. Der Bauer streckte sich gähnend
auf die warme Bank am riesigen Kachelofen, Frau und Tochter, beim
Hofbauern auch die Magd, spannen den selbstgezogenen Hanf und Flachs,
die Söhne unterhielten die Flamme der Späne, gingen ab und zu,
besorgten den Stall und zogen aus zum Licht- oder Kiltgang.

Den Landmann treibt anch im Winter die Sorge um das Vieh
srühe vom Lager, es heischt sein Futter lange bevor die Sonne sich
erhebt. Für den Doktor, den sein Beruf erst spät abends das Bett
hatte aufsuchen lassen, kam namentlich der Wälder allzu frühe von den
Bergen herab, um ein Rezept, vielleicht den Doktor selbst zu holen.
Schon um 4 Uhr läutete er nicht selten an der Hausglocke. Mit
diätetischem Rat nnd milder Arznei war ihm nicht gedient, er verlangte
starke Tränke in großen „Gutteren" (Flaschen), oder Latwergen und Pul-
ver, die tüchtig „obsi" und „nidsi" wirkten, d. h. nach oben und unten
„trieben", anch Aderlässe, Schröpfköpfe, Blutegel, die das dicke, schwarze
Blut aus den Adern nähmen. Guter „Brenz" (Branntwein) zur
Stärkung der „Lebensgeister" war ihm stets besonders willkommen.

Bei dem Wälder stand die „heilsame Dreckapotheke" des gelehr-
ten Paullini von 1696, oder richtiger der Unrat, den er empfahl, noch
in großem Ansehen. Ein Dorfschmied im Gebirge verordnete einem
 
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