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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0486

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466

Lcmdpraxis und Landärzte.

Jn den Dörfern des Hochblanen ist es mir nur einmal gelnngen,
die Erlaubnis zur Vornahme einer Leichenöffnung zu erhalten. Sie
geschah unter Umständen, die ich schildern will, da sie für Ort und
Leute charalteristisch sind. Der Dorfschreiner von Vogelbach zeigte
mir persönlich an, daß seine Fran gestorben sei. Jch hatte sie nur ein-
mal besucht, eine hitzige Krankheit hatte sie in wenigen Tagen weg-
gerafft; es lag mir viel daran, die Richtigkeit meiner Diagnose: Darm-
typhus, an der Leiche zu kontrollieren. Der Schreiner war in jnngen
Jahren in der Fremde gewesen nnd deshalb etwas weniger in Vor-
urteilen befangen, als die andern Vogelbacher, aber alles Zureden
nntzte nichts. Vergeblich setzte ich ihm gnten Wein vor, rühmte seine
Weltkenntnis und große Einsicht, er blieb meinen Vorstellungen un-
zngänglich, bis ich endlich seine schwache Seite entdeckte. Jch versprach,
ihm das Honorar für meinen ürztlichen Besuch zu erlassen, worauf er
einwilligte. Am folgenden Morgen ritt ich nach seinem Dorfe hinauf.
Als ich seinem Hause nahe kam, erhoben zwei erwachsene Töchter, die
auf mich gelauert hatten, ein großes Geschrei, unklugerweise hatte
er ihnen unsere Verabredung mitgeteilt. Er selbst war schwankend
geworden, doch hielt er schließlich seine Zusage und führte mich ins
Haus. Jn der Wohnstube saß ein alter Schwarzwälder, ein hausie-
render Znnderhändler, bei einem Gläschen Schnaps. Die Töchter hatten
ihm erzählt, was mich herführe, und unwillig rief er dem Schreiner
zu: „He, Schriner, Jhr werdet doch bigott Euri Frau nit ufschnide
lo (anfschneiden lassen)? Das dürfet Jhr der Seligen nit z'leid thun?"
Der Schreiner aber blieb fest. Wir gingen ins Nebenzimmer, wo sich
meine Diagnose richtig erfand. Als ich aber mit dem Schreiner wieder
heranskam und das Haus verließ, rief uns der alte Zunderhändler
giftig nach: „Schriner, Euer Doktor ist e junge (ein jnnger), er will
an Eurer Frau lehre (lernen), die alte Döktere brnche d'Lüt nit uf-
z'schnide (brauchen die Lente nicht anfzuschneiden)!" Mit diesem Pfeil
im Busen ritt ich nach Hause.

Jn den drei Aemtern Lörrach, Schopfheim und Müllheim prakti-
zierte genau ein Dutzend Aerzte. Der angesehenste und einer der
besten des Landes war Physikns Dn. Zeller in Lörrach. Jch hatte
 
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