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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0488

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Landpraxis und Landärzte.

ganz verzweifelten Fällen. Wenn keiner seiner Kollegen mehr wagte, mit
Brechmitteln und Aderläsfen einzugreifen, wagte es sicher noch der Dok-
tor Brodhag. Ging dann der Tod an dem Kranken vorüber, wie dies
vorkam, so war sein Ruf auf lange hin wieder gesichert. Jn der
Medizin, wie in der Politik hielt er nichts von halben Mitteln. Bei
einer Volksversammlung in den Revolutionsjahren schwang er auf der
Rednerbühne eine Sense, die nach seiner Angabe zur Kriegswaffe um-
geschmiedet worden war, und schwur, so wahr er Brodhag heiße, dem
Menschen, dem sie durch den Leib fahre, helfe kein Doktor mehr. „Gott
straf' mich," schrie er, „wollt ihr die Freiheit erringen, so greift zur
Sense!" Nach dem Aufstand zur Rechenschaft gezogen, wurde er zu
längerer Haft vernrteilt. Wieder frei geworden, kehrte Brodhag zu seiner
Gattin heim, mit der er in kinderloser Ehe lebte. Während seiner Ge-
fangenschaft war Meister Schmalhans im Hause eingezogen nnd das
Pnbliknm, das früher so häufig seinen Rat geholt, hatte sich verlaufen.
Wochenlang kam niemand, finster brütete er vor sich hin. Endlich erscheint
ein Baner vom Lande, die Frau empfängt ihn, heißt ihn warten und
bringt ihrem Manne die frohe Botschast. Dieser aber befiehlt kurz
angebunden, der Bauer solle warten. Die Frau, an blinden Gehorsam
gewöhnt, hält den Mann mit allerlei Ausflückten im Wartezimmer
hin. Zuletzt wird der Bauer ungeduldig, sie saßt sich ein Herz und
meldet es dem strengen Gebieter mit flehenden Worten: „Lieber Brodhag,
der Bauer drängt und der Metzger hat eben die Rechnung geschickt und
verlangt Bezahlnng!" — „Laß das Pferd satteln!" herrscht er sie an.
Beruhigt verkündet sie dem Bauern: „Der Doktor läßt eben satteln,
somit wird er gleich znr Hand sein." — Das Pferd ist bald gesattelt,
der Doktor geht die Treppe in den Hof hinab und steigt auf. Der
Bauer eilt ihm nach und verlangt Bescheid. „Verflnchte Kanaillen!"
ruft er ihm zu, „habt ihr Bauern den Brodhag so lange auf ench
warten lassen, so sollt ihr jetzt auch auf den Brodhag warten." Damit
reitet er davon. — Es währte nicht lange und der tolle Doktor er-
freute sich wieder seiner alten Knndschast.

Wunderbare Kuren wurden von einem alten, klugen Arzte in
Schliengen erzählt, der von beiden Ufern des Oberrheins, ans dem Elsaß
und Baden, einen außerordentlichen Zulauf hatte. Er sollte einem
 
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