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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0511

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Schluß.

491

von selbständigem Urteil. Aus dem steten Verkehr mit diesen jungen
Aerzten und aus den Krankenvisiten mit den erfahrenen älteren zog
ich großen Gewinn.

Erst zu Beginn des Winters siedelte ich mit Frau und Kindern
nach Heidelberg über; zu dem ersten Töchterchen war noch in Kandern,
kurz/nachdem ich das Krankenlager verlassen hatte, ein zweites ge-
kommen. Jm folgenden Jahre habilitierte ich mich. Von meinen alten
Lehrern fand ich nur noch Chelius und Delfss; an Henles Stelle
lehrte Fr. Arnold Anatomie und Physiologie, statt Pfeuser leitete
Hasse die innere Klinik, Geburtshelfer war Lange.

Jch vermochte erst später ganz zu ermessen, welch ein Wagnis
ich unternommen hatte, als ich mitten aus der Landpraxis heraus
mich entschloß, mit noch siechem Körper und beschränkten äußeren
Mitteln die akademische Laufbahn einzuschlagen. Der Versuch ist über
Erwarten gelungen und die Krankheit hat mir statt Verderben Glück
gebracht; wäre ich auch länger gesund und Landarzt geblieben, so
wäre ich doch zweifelsohne frühe den Strapazen erlegen, aber die
Ansführung meines Wagnisses ist mir nicht leicht geworden. Kaum
war ich in Heidelberg eingezogen, so sah ich mich beinahe gezwungen,
zur Praxis zurückzukehren. Ans unklugem Mitleid hatte ich in Kandern
beim Weggehen meinem Hauswirte, einem gutmütigen, aber schwachen
Menschen mit großer Familie, der in Gant geraten war, den Einzug
meiner Ausstände, gegen einen Anteil an der Einnahme, übergeben;
er hatte den Einzug zwar besorgt, aber das Geld für sich und
seine Familie verbraucht. Schlimmer noch war es, daß meine Ge-
sundheit Jahre lang schwach und schwankend blieb; das Gespenst einer
rückfälligen Lähmnng erschreckte mich von Zeit zu Zeit, vermutlich wäre
ich den Sorgen und Mühen unterlegen, hätte mir nicht die treue Ge-
sährtin, deren Tapferkeit ich einst richtig erkannt, stets nnverzagten
und heiteren Sinnes ermnnternd zur Seite gestanden.

Seit der überstandenen Lähmung war meine Haut, wie nie zu-
vor, gegen Temperatureinflüsse empfindlich geworden; sie war es auch
nach den Seebädern geblieben, obwohl ich in den nächsten Jahren
methodisch in der kalten Jahreszeit laue Wannenbäder und in der
warmen, kalte Flußbäder gebrauchte; einige Versuche mit der kalten
 
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