AQUILEIA
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ie Küste des Adriatischen Meeres von den Ausläufern des Karstgebirges, bis wo
der Apennin in der Gegend von Rimini an das Ufer herantritt, unterscheidet
sich wesentlich von allen übrigen Küstengebieten italienischer Erde. Die zahl-
reichen, das ebene Hinterland in teilweise langsamem Gefälle durchziehenden
und ihren unteren Lauf stets verändernden, zuletzt mannigfache Deltas bil-
denden Flüsse, der Isonzo, der Tagliamento, die Livenza, die Piave, die
Brenta, die Etsch, der Reno und vor allem der mächtigste von ihnen, der
«König der Ströme», der Po, haben seit Jahrtausenden immer frisches Gerölle und frischen Sand
angeschwemmt, und wie in Holland sind hier die Grenzen zwischen Wasser und Land un-
beständig und schwankend. Fast auf dieser ganzen Strecke lagern langgezogene Inseln, Lidi
genannt, vor ruhigen Wasserflächen, den Lagunen, und schützen sie gegen die mehr als das
eigentliche Mittelmeer der Ebbe und Flut unterworfene, wegen ihrer Stürme schon bei den
Alten gefürchtete Adria. Auf mehr wie die Lidi landwärts gelegenen, mannigfachen Ver-
änderungen ausgesetzten Inseln entstanden Ansiedlungen und große und kleine Gemeinwesen.
Andere Städte, welche noch zur Römerzeit in geringer Entfernung von der Küste sich er-
hoben, sind nun von derselben durch große sumpfige Strecken getrennt, und wie an manchen
Gestaden der Nordsee die erobernde See schon wiederholt Wohlstand und Kultur vernichtet
hat, findet man sie hier langsamer, aber nicht minder verderblich, durch das allmähliche
Zurückweichen des Meeres in Frage gestellt.
Schwankend wie die Bodenverhältnisse waren viele Jahrhunderte hindurch auch die poli-
tischen Zustände dieses Niederlandes. Mit unsicheren Sprachgrenzen und einer heute von
deutschen und slawischen Elementen vielfach durchsetzten Bevölkerung war es das Übergangs-
gebiet und Ausfallstor Italiens nach den nördlichen und östlichen Ländern Europas, wie seine
Häfen Italiens Handel mit dem Orient vermittelten und jetzt noch vermitteln. Erst seit dem
Falle der römischen Republik gelangten diese Gegenden zu erhöhter Bedeutung, und die Blüte-
zeit ihrer beiden größten antiken Städte, Aquileja und Ravenna, beide nahe dem Meere, eine
am Abhänge des Karst, die andere nicht weit nördlich vom Abhang des Apennin gelegen, begann
unter Augustus. Es war das Gebiet, wo die Römer ihre Streitkräfte sammelten, um die Alpen-
IX
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ie Küste des Adriatischen Meeres von den Ausläufern des Karstgebirges, bis wo
der Apennin in der Gegend von Rimini an das Ufer herantritt, unterscheidet
sich wesentlich von allen übrigen Küstengebieten italienischer Erde. Die zahl-
reichen, das ebene Hinterland in teilweise langsamem Gefälle durchziehenden
und ihren unteren Lauf stets verändernden, zuletzt mannigfache Deltas bil-
denden Flüsse, der Isonzo, der Tagliamento, die Livenza, die Piave, die
Brenta, die Etsch, der Reno und vor allem der mächtigste von ihnen, der
«König der Ströme», der Po, haben seit Jahrtausenden immer frisches Gerölle und frischen Sand
angeschwemmt, und wie in Holland sind hier die Grenzen zwischen Wasser und Land un-
beständig und schwankend. Fast auf dieser ganzen Strecke lagern langgezogene Inseln, Lidi
genannt, vor ruhigen Wasserflächen, den Lagunen, und schützen sie gegen die mehr als das
eigentliche Mittelmeer der Ebbe und Flut unterworfene, wegen ihrer Stürme schon bei den
Alten gefürchtete Adria. Auf mehr wie die Lidi landwärts gelegenen, mannigfachen Ver-
änderungen ausgesetzten Inseln entstanden Ansiedlungen und große und kleine Gemeinwesen.
Andere Städte, welche noch zur Römerzeit in geringer Entfernung von der Küste sich er-
hoben, sind nun von derselben durch große sumpfige Strecken getrennt, und wie an manchen
Gestaden der Nordsee die erobernde See schon wiederholt Wohlstand und Kultur vernichtet
hat, findet man sie hier langsamer, aber nicht minder verderblich, durch das allmähliche
Zurückweichen des Meeres in Frage gestellt.
Schwankend wie die Bodenverhältnisse waren viele Jahrhunderte hindurch auch die poli-
tischen Zustände dieses Niederlandes. Mit unsicheren Sprachgrenzen und einer heute von
deutschen und slawischen Elementen vielfach durchsetzten Bevölkerung war es das Übergangs-
gebiet und Ausfallstor Italiens nach den nördlichen und östlichen Ländern Europas, wie seine
Häfen Italiens Handel mit dem Orient vermittelten und jetzt noch vermitteln. Erst seit dem
Falle der römischen Republik gelangten diese Gegenden zu erhöhter Bedeutung, und die Blüte-
zeit ihrer beiden größten antiken Städte, Aquileja und Ravenna, beide nahe dem Meere, eine
am Abhänge des Karst, die andere nicht weit nördlich vom Abhang des Apennin gelegen, begann
unter Augustus. Es war das Gebiet, wo die Römer ihre Streitkräfte sammelten, um die Alpen-
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