Ältere Bauten auf
dem Domplatze
Wenn etwas dies merkwürdige Vorgehen erklären kann, ist es die Annahme, daß man
beim Einbau jener Rundmauer hier Räumlichkeiten besaß oder zu besitzen meinte, die aus
irgendwelchen lokalgeschichtlichen Gründen erhalten werden sollten. Uber die Zeit vorher
könnten wir eher eine Meinung aussprechen, wenn die frühere Innenteilung des alten Raumes,
der die jetzige Krypta bildet, bekannt wäre. Daß wir es mit dem Teile eines größeren Baues
zu tun haben, mag gegen Norden hin ein Entlastungsbogen in der Kammer C beweisen. Und
daß die ganze Domanlage überhaupt nicht auf einem, ein und derselben Zeit angehörigen Niveau
stand, lehrt der auffällige Unterschied zwischen ihrem damaligen Atrium und dem Fischmosaik.1)
Man mußte — schon im 4. Jahrhundert — auf vier Stufen in die neue Kirche hinabsteigen.
Das kann, wie die bekannte Erfahrung lehrt, unmöglich ein völliger Neubau gewesen sein;
sondern es wurde irgend ein brauchbares oder interessantes, aber weit älteres Gebäude mit-
benützt, mit dem der heutige Kryptabau offenbar in irgend einem Zusammenhange stand.
In den beiden äußersten Ecken der Krypta stehen noch die viereckigen Steinpfeiler, welche
wahrscheinlich die älteste Decke dieses Raumes trugen. Reste von Teilungsmauern, wenn solche
vorhanden waren, konnten wir unter dem Kryptapflaster mit Rücksicht auf die gefährdete
Festigkeit des Baues nicht suchen. Wohl aber ist mindestens in der späteren christlichen Zeit,
wahrscheinlich als die Rundmauer, die Gewölbe und die Säulenstellungen eingefügt wurden, um
den Kryptaaltar herum ein heiliger Raum, ein Adyton, abgeschlossen worden, dessen Schranken
ihre Spuren noch in den vorderen zwei Säulen zurückgelassen haben. Es darf also nicht
der jetzt abgeschlossene Mittelraum als die wichtigste Stelle gelten, dessen störendes Eisengitter
erst um 1500 herum aus Sicherheitsgründen eingesetzt wurde.2) Sicher aber war hier unten
Gottesdienst und, da auch um diese Zeit die Reliquien des Titelheiligen fehlten, mag sich die
Andacht des Volkes ungefähr dorthin konzentriert haben, wo jetzt die kleine apsisförmige
Erweiterung der Mauer in das Fenster übergeht. Gegenwärtig sieht man von der Kirche aus
direkt diesen Raum vor sich, den jetzt noch ein Altar ziert. Welche Erinnerungen mögen sich
an diese Räume, an jenen Platz geknüpft haben?
Über die Baulichkeiten, die in vorchristlicher Zeit hier standen, läßt sich, wie schon er-
wähnt, nichts Sicheres erbringen.3) Wenn wir uns aber, auf dem Kryptaboden stehend, immerhin
nahe an der alten Stadtmauer, im rückwärtigen Teile eines verschwundenen oder beim Kirchen-
bau mitverwendeten Gebäudes befinden, müßte sich dies gegen den jetzigen Capitoloplatz hin
erstreckt haben. Dort dürften sich zwei Straßen des alten Aquileja gekreuzt haben4) und von
dort schaute auch ein anderer, sicher konstatierter und abgegrenzter klassischer Bau her, der
dem aquilejensischen Baptisterium, wie wir S. 16 f. sahen, seine Fundamente lieh. Nachdem
nun dieser Bau seine Fassadestellung nach Osten hatte, ergäbe sich ein bemerkenswerter Schluß
über den altchristlichen Bauplatz des Domes. Es wäre darnach zwischen Dom und Baptiste-
rium ein antiker Straßenzug, wenn nicht ein freier Platz anzunehmen. Ob nun Kandier zu
seiner Annahme eines Forums oder Kapitols berechtigt war oder nicht, bleibt es doch vorläufig
der Phantasie und den zukünftigen Forschungen der klassischen Archäologie überlassen, diesen
Platz weiter und schärfer zu begrenzen, zu benennen und mit den öffentlichen Gebäuden,
Tempeln und Statuen zu schmücken.5) Der große Abzugskanal gibt in seiner Art Zeugnis von
dem bewegten Leben, das in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, also in der Ära
der Christenverfolgungen, hier herrschte.
Die Christen des 4. Jahrhunderts hatten jedenfalls ihren Grund, über diesen Platz hin
mittels des Basilikenbaues eine architektonische Verbindung herzustellen zwischen den zwei
') Die genau aufgenommenen Höhenmaße sind folgende: Das
Atrium lag 2*25 m unter dem Wagriß (das Pfauenmosaik 1-92 m), der
alte Kirchenboden 2-go m und darüber. Die Differenz betrug also wenig-
stens 65 cm. Mit einer Stufenhöhe von 15 cm ergibt sich somit ein Abstieg
in die Kirche hinein von etwa vier Stufen. Der Unterschied von damals
hat sich also im heutigen Bestand noch erhalten. Über das Fischmosaik,
siehe S. 29 und den Abschnitt, welcher den ersten Dombau behandeln
wird. Ein Unterschied muß auch beim Betreten der nördlichen Basilika
bemerkbar gewesen sein, der aber, soweit die zerstörten Mosaiken derVor-
halle ein Urteil ermöglichen, weniger als einen halben Meter ausmachte.
2) Siehe Inventar vom Jahre 1524 im Abschnitt über den Re-
liquienschatz der Domkirche.
3) Eine Zeichnung Ferrantes (Piani, Taf. XVII f., Text S. 9
und 30 — 38) bringt mit allen Details die angebliche primissima chiesa,
die schon vor der Zeit Diokletians an Stelle des Domes gestanden
habe. Weniger die theoretische Möglichkeit solcher Kirchen, noch das
Bestreben, den heutigen Bau möglichst alt erscheinen zu lassen, er-
klären diesen Fehlversuch Ferrantes, sondern offenbar die unklare
Ahnung des Technikers, daß hier vor dem Bau des 4. Jahrhunderts
ein Gebäude bestanden haben müsse. Die Willkürlichkeiten seiner
Zeichnung, die z. B. an einer «vordiokletianischen» Außenwand Spitz-
bogen annimmt, zu registrieren, verlohnt sich wohl nicht. Jedoch sei
bemerkt, daß die Behauptung einiger Schriftsteller, unser Dom sei
im 11. Jahrhundert nach Westen verlängert worden, in letzter Quelle
auf diesen Einfall Ferrantes (1. c. S. 30) zurückgeht.
4) Maionica, Fundkarte, S. 49 f.
5) Maionica, Fundkarte, S. 32 f., bringt mehrere Inschriften,
die sich auf Ehrendenkmale beziehen.
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dem Domplatze
Wenn etwas dies merkwürdige Vorgehen erklären kann, ist es die Annahme, daß man
beim Einbau jener Rundmauer hier Räumlichkeiten besaß oder zu besitzen meinte, die aus
irgendwelchen lokalgeschichtlichen Gründen erhalten werden sollten. Uber die Zeit vorher
könnten wir eher eine Meinung aussprechen, wenn die frühere Innenteilung des alten Raumes,
der die jetzige Krypta bildet, bekannt wäre. Daß wir es mit dem Teile eines größeren Baues
zu tun haben, mag gegen Norden hin ein Entlastungsbogen in der Kammer C beweisen. Und
daß die ganze Domanlage überhaupt nicht auf einem, ein und derselben Zeit angehörigen Niveau
stand, lehrt der auffällige Unterschied zwischen ihrem damaligen Atrium und dem Fischmosaik.1)
Man mußte — schon im 4. Jahrhundert — auf vier Stufen in die neue Kirche hinabsteigen.
Das kann, wie die bekannte Erfahrung lehrt, unmöglich ein völliger Neubau gewesen sein;
sondern es wurde irgend ein brauchbares oder interessantes, aber weit älteres Gebäude mit-
benützt, mit dem der heutige Kryptabau offenbar in irgend einem Zusammenhange stand.
In den beiden äußersten Ecken der Krypta stehen noch die viereckigen Steinpfeiler, welche
wahrscheinlich die älteste Decke dieses Raumes trugen. Reste von Teilungsmauern, wenn solche
vorhanden waren, konnten wir unter dem Kryptapflaster mit Rücksicht auf die gefährdete
Festigkeit des Baues nicht suchen. Wohl aber ist mindestens in der späteren christlichen Zeit,
wahrscheinlich als die Rundmauer, die Gewölbe und die Säulenstellungen eingefügt wurden, um
den Kryptaaltar herum ein heiliger Raum, ein Adyton, abgeschlossen worden, dessen Schranken
ihre Spuren noch in den vorderen zwei Säulen zurückgelassen haben. Es darf also nicht
der jetzt abgeschlossene Mittelraum als die wichtigste Stelle gelten, dessen störendes Eisengitter
erst um 1500 herum aus Sicherheitsgründen eingesetzt wurde.2) Sicher aber war hier unten
Gottesdienst und, da auch um diese Zeit die Reliquien des Titelheiligen fehlten, mag sich die
Andacht des Volkes ungefähr dorthin konzentriert haben, wo jetzt die kleine apsisförmige
Erweiterung der Mauer in das Fenster übergeht. Gegenwärtig sieht man von der Kirche aus
direkt diesen Raum vor sich, den jetzt noch ein Altar ziert. Welche Erinnerungen mögen sich
an diese Räume, an jenen Platz geknüpft haben?
Über die Baulichkeiten, die in vorchristlicher Zeit hier standen, läßt sich, wie schon er-
wähnt, nichts Sicheres erbringen.3) Wenn wir uns aber, auf dem Kryptaboden stehend, immerhin
nahe an der alten Stadtmauer, im rückwärtigen Teile eines verschwundenen oder beim Kirchen-
bau mitverwendeten Gebäudes befinden, müßte sich dies gegen den jetzigen Capitoloplatz hin
erstreckt haben. Dort dürften sich zwei Straßen des alten Aquileja gekreuzt haben4) und von
dort schaute auch ein anderer, sicher konstatierter und abgegrenzter klassischer Bau her, der
dem aquilejensischen Baptisterium, wie wir S. 16 f. sahen, seine Fundamente lieh. Nachdem
nun dieser Bau seine Fassadestellung nach Osten hatte, ergäbe sich ein bemerkenswerter Schluß
über den altchristlichen Bauplatz des Domes. Es wäre darnach zwischen Dom und Baptiste-
rium ein antiker Straßenzug, wenn nicht ein freier Platz anzunehmen. Ob nun Kandier zu
seiner Annahme eines Forums oder Kapitols berechtigt war oder nicht, bleibt es doch vorläufig
der Phantasie und den zukünftigen Forschungen der klassischen Archäologie überlassen, diesen
Platz weiter und schärfer zu begrenzen, zu benennen und mit den öffentlichen Gebäuden,
Tempeln und Statuen zu schmücken.5) Der große Abzugskanal gibt in seiner Art Zeugnis von
dem bewegten Leben, das in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, also in der Ära
der Christenverfolgungen, hier herrschte.
Die Christen des 4. Jahrhunderts hatten jedenfalls ihren Grund, über diesen Platz hin
mittels des Basilikenbaues eine architektonische Verbindung herzustellen zwischen den zwei
') Die genau aufgenommenen Höhenmaße sind folgende: Das
Atrium lag 2*25 m unter dem Wagriß (das Pfauenmosaik 1-92 m), der
alte Kirchenboden 2-go m und darüber. Die Differenz betrug also wenig-
stens 65 cm. Mit einer Stufenhöhe von 15 cm ergibt sich somit ein Abstieg
in die Kirche hinein von etwa vier Stufen. Der Unterschied von damals
hat sich also im heutigen Bestand noch erhalten. Über das Fischmosaik,
siehe S. 29 und den Abschnitt, welcher den ersten Dombau behandeln
wird. Ein Unterschied muß auch beim Betreten der nördlichen Basilika
bemerkbar gewesen sein, der aber, soweit die zerstörten Mosaiken derVor-
halle ein Urteil ermöglichen, weniger als einen halben Meter ausmachte.
2) Siehe Inventar vom Jahre 1524 im Abschnitt über den Re-
liquienschatz der Domkirche.
3) Eine Zeichnung Ferrantes (Piani, Taf. XVII f., Text S. 9
und 30 — 38) bringt mit allen Details die angebliche primissima chiesa,
die schon vor der Zeit Diokletians an Stelle des Domes gestanden
habe. Weniger die theoretische Möglichkeit solcher Kirchen, noch das
Bestreben, den heutigen Bau möglichst alt erscheinen zu lassen, er-
klären diesen Fehlversuch Ferrantes, sondern offenbar die unklare
Ahnung des Technikers, daß hier vor dem Bau des 4. Jahrhunderts
ein Gebäude bestanden haben müsse. Die Willkürlichkeiten seiner
Zeichnung, die z. B. an einer «vordiokletianischen» Außenwand Spitz-
bogen annimmt, zu registrieren, verlohnt sich wohl nicht. Jedoch sei
bemerkt, daß die Behauptung einiger Schriftsteller, unser Dom sei
im 11. Jahrhundert nach Westen verlängert worden, in letzter Quelle
auf diesen Einfall Ferrantes (1. c. S. 30) zurückgeht.
4) Maionica, Fundkarte, S. 49 f.
5) Maionica, Fundkarte, S. 32 f., bringt mehrere Inschriften,
die sich auf Ehrendenkmale beziehen.
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