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Lübke, Wilhelm
Grundriss der Kunstgeschichte — Stuttgart, 1864

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https://doi.org/10.11588/diglit.2899#0022
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2 Einleitung.

den Helden Homers und im Innern Asiens begegnen; nur kommt diese
Sprache nicht über das erste Stammeln hinaus. Der Mensch liegt noch zu
sehr in den Fesseln der umgebenden Natur, wagt noch zu wenig über
ihre nächsten Bedingungen hinauszugehen, als dass er sich zu Gebilden
von individueller Freiheit erheben könnte. Daher tragen diese primitiv-
sten "Werke mehr das Gepräge allgemeiner Naturnotwendigkeit, als den
Stempel geistig bewussten Schaffens. Je weiter die Menschheit im Laufe
der Zeiten fortschreitet auf der Bahn der Entwicklung, desto schärfer treten
die Unterschiede der Einzelnen hervor, desto reicher wird die Fülle man-
nichfach besondrer Charaktere.

Die einfachste Urform, welche der erwachende Trieb zur Kunst her-
vorbringt, ist der künstlich aufgeworfene Hügel (tumulus), der die Grab-
stätte eines gefallenen Helden bezeichnet, oder auch ein mächtiger, durch
vereinte Anstrengung Vieler aufgerichteter Steinblock, roh, wie das Ge-
birge ihn lieferte oder urweltliche
Flnthen ihn zurückgelassen ha-
ben. Hier unterscheidet sich das
Menschenwerk kaum von den zu-
fälligen Bildungen der Natur;
nur die inneren Beziehungen,
die der Mensch willkürlich damit
verknüpft, geben ihm eine. Be-
deutung. Auch die oft zahl-
reichen Zusammensetzungen sol-
Fig. 1. Keltisches Komment. eher Felsblöcke, die Steinkreise,

die Felsgrotten, die tischartigen
rohesten Altarformen, die man häufig trifft (Fig. 1), erheben sich kaum
über die unterste Stufe.: Doch beginnt hier schon, durch die Ausdehnung
solcher Anlagen oder die Kolossalität der Steine und die Seltsamkeit ihrer
Stellungen und Verbindungen, ein geistiger Eindruck bei ihrem Anschauen
sich des Gemüthes zu bemächtigen. Der Schauer des Geheimnissvollen,
Gewaltigen, ja selbst des Schreckhaften ergreift uns mit jenem Wehen,
durch das die Ahnung der Gottheit in unentwickelten Naturvölkern sich
ankündigt. Auch gibt sich hier zuerst ein Streben nach Zusammenhang
und Gleichmaass, nach Composition und einer gewissen Harmonie zu er-
kennen. Zwei gewaltige Steinblöcke werden aufgerichtet, und ein dritter
legt sich als erhöhte Platte [über sie. Eine Anzahl solcher Verbindungen
wird zu einem, ja zu mehreren weiten Kreisen an einander gereiht, und
der Mittelpunkt des Denkmals bedeutsam hervorgehoben. So die berühmten
Steinkreise (Stonehenge) bei Salisbury. Doppelreihen von aufgerichteten

1 Vgl. Denkmäler'der Kunst, zur Uebersieht ihres Entwicklungsganges etc. (Stuttgart. Ebner
und Seubert. II. Aufl.) Taf. 1 und Gaithaiaud's Denkm. der Baukunst.
 
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