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Lübke, Wilhelm
Grundriss der Kunstgeschichte — Stuttgart, 1864

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https://doi.org/10.11588/diglit.2899#0069
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Kap. III. Die Kunst des westlichen Asiens. B. Die Völker Kleinasiens. 49

Für die Zeitbestimmung der kleinasiatischen Denkmäler dürfen wir
aus der Entzifferung der öfter angebrachten Inschriften nähere Aufschlüsse
erwarten; einstweilen wird der Charakter der'bisweilen an ihnen vorkom-
menden Eeliefs maassgebend für die Bestimmung des Alters bleiben müssen.
Die ältesten Werke sind ohne Zweifel jene primitiven Grabhügel Lydiens,
die in die Zeiten des Gyges und Alyattes (7. Jahrh. v. Chr.) hinaufreichen
dürften. Ihnen schliessen sich wohl noch als Zeugnisse des 6. Jahrhunderts
die phrygischen Denkmäler mit ihrer naiven spielenden Behandlungsweise
an, während die lycischen Gräber mit ihrer auf Beflexion beruhenden Holz-
nachahmung oder den entschieden hellenisirenden Formen erst dem 5. bis
3. Jahrhundert angehören werden.

Die bildende Kunst Kleinasiens, soweit sie nicht hellenisches Ge-
präge trägt, ist bis jetzt nur in spärlichen, vereinzelten Ueberresten zu
imsrer Kenntniss gekommen. Die merkwürdigsten und alterthüinlichsten
Werke sind die Felssculpturen der ehemaligen Stadt Pterium in Galatien
bei dem Dorfe Boghaz-Koei, Eeliefs von derber und schlichter Behand-
lung, zwei einander begegnende Züge männlicher Gestalten darstellend,
die durch die Tracht dem Anscheine nach als Vertreter zweier verschie-
dener [Nationen bezeichnet werden. Ein Marmorsitz ebendaselbst hat zu
beiden Seiten Löwengestalten, nach Art assyrischer Werke. Noch bestimmter
erinnert ein Portal bei dem heutigen Dorfe Uejük durch seine phantastischen,
aus Vogelleib mit Löwenfüssen und Menschenhaupt zusammengesetzten
Kolossalgestalten an ninivitische Ausstattung. Dagegen weiset die Kelief-
darstellung eines Löwen, der einen Stier zerreisst, im Giebel einer Grab-
facade zu Myra, deutlich auf persische Vorbilder zurück. So zeigt die
alte Kunst Kleinasiens dieselben Verhältnisse, welche auf die politischen
Geschicke des Landes einen bestimmenden Einfluss ausgeübt haben: beim
Mangel einer festen centralisirenden Gewalt zersplittern sich die einzelnen
Kulturelemente, und je weniger, wie es scheint, eine energische Anlage
zu höherer Kunstentfaltung den verschiedenen Stämmen angeboren war,
um so leichter mussten dieselben den Einflüssen der auch für die politischen
Zustände entscheidenden mächtigen Nachbarvölker sich hingeben.

Lübke, Kunstgeschichte. 2. Aufl.
 
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