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Lübke, Wilhelm
Grundriss der Kunstgeschichte — Stuttgart, 1864

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https://doi.org/10.11588/diglit.2899#0272
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252 Drittes Buch. Die Kunst des Mittelalters.

Uebertreibillig der Gestalten ein hemmendes Gegengewicht erhält. Von den
zahlreich erhaltenen Werken dieser Art nennen wir ein in der Pariser
Bibliothek befindliches Manuscript der Predigten Gregors von Nazianz,
aus dem 9. Jahrhundert, und vom Ende des folgenden Jahrhunderts eine
Bilderhandschrift des Jesaias in der Vaticana. Schon mit dem 11. Jahr-
hundert beginnt ein allmähliches Sinken der Technik und der Auffassung,
bis schliesslich der letzte Funke künstlerischen Schaffens in völliger Leb-
losigkeit erlischt.

Endlich sind die dekorativen Werke, die zur Ausschmückung des
Gotteshauses und der gottesdienstlichen Geräthe dienten, als besonders
bezeichnend für den Geist dieser Epoche zu erwähnen. Es wurde schon
bemerkt, dass die byzantinische Prachtliebe zu solchen Zwecken die kost-
barsten Stoffe, edle Metalle, Perlen und Gesteine anzuwenden liebte. Von
der Sophienkirche zu Constantinopel wird berichtet, dass der Chor durch
silberne Säulen und Schranken abgeschlossen war, dass der goldene,. mit
Edelsteinen reich verzierte Altar von einem hohen silbernen Tabernakel
bekrönt wurde, .dass goldgestickte Teppiche die Oeffnungen zwischen den
Säulen des Tabernakels schlössen. Diese byzantinische Prachtliebe ver-
breitete sich rasch über die abendländische Christenheit. Ueberall wett-
eiferten die Kirchen in der Kostbarkeit ihrer Ausstattung, überall griff
ein Streben nach Verwendung der prunkvollsten Stoffe um sich und Hess
das Künstlerische dem Materiellen untergeordnet erscheinen. Besonders
wurden um den Beginn des 9. Jahrhunderts, als die römischen Bischöfe
durch die Freigebigkeit der Karolinger auch zu äusserer Macht und an-
sehnlichem Besitzthum gelangten, die Kirchen- Eoms mit unglaublicher
Prachtverschwendung bedacht. Die Peterskirche erhielt damals eine über
alle Beschreibung kostbare Ausstattung: silberne Platten überzogen die
Thürflügel, den Fussboden vor der Gruft des heiligen Petrus, den Quer-
balken unter dem Triumphbogen, Goldplatten sogar den Boden der Gruft
selbst; daneben w.erden zahlreiche Gold- und Silbergeräthe, Lampen und
Leuchter, Altarbekleidungen, Bildwerke von denselben Prachtmetallen er-
wähnt. Obwohl an diesen Werken häufig getriebene Eeliefgestalten und
plastische Ornamente verschiedener Art vorkamen, war der Eindruck doch
mehr ein malerischer als plastischer, wie denn die Verbindung verschie-
dener Prachtmetalle, Perlen und bunter Steine, wozu noch oft der Schmuck
zierlicher Emaillen kommt, überwiegend die Lust an reicher Farbenwirkung
bezeugt. Eine Anschauung solcher Prachtarbeiten gewähren die Beklei-
dung des Hochaltars von S. Ambrogio in Mailand aus der ersten Hälfte
des 9. Jahrhunderts, der inschriftlich von einem Meister Wolvinus her-
rührt und die Pala d'oro von S. Marco zu Venedig, im 11. Jahrhundert
zu Constantinopel gefertigt. — Als Beispiel der Prachtgewänder jener Zeit
 
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