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Lübke, Wilhelm
Grundriss der Kunstgeschichte — Stuttgart, 1864

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https://doi.org/10.11588/diglit.2899#0275
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Kapitel II. Die Kunst des Islam. 1. Charakter und Kunbtgeisc. 255-

seine Phantasie ins Form- und Schrankenlose, irrt flüchtig von einer An-
schauung zur andern und lernt nicht die Euhe gewinnen, welche zur festen
Ausprägung bestimmter Gestalten gehört. Hierin liegt eine innere Ver-
wandtschaft mit dem Charakter des israelitischen Volkes, hierin der Grund
zu dem abstrakten Monotheismus, der beiden Nationen schon früh ge-
meinsam war, zu dem bildlosen Kultus, der sich bei beiden festgesetzt
hatte. Jener uralte schwarze Stein in Mekka, den die Sage mit Adam in
Verbindung brachte, und den die Araber lange vor Mohamed in der hei-
ligen Umfriedung der Kaaba verehrten, war ein Ausdruck dieses auf Bilder
verzichtenden Gottesdienstes, und wenn auch im Laufe der Zeit die Unzahl
von 300 Götzenbildern sich um ihn angesammelt hatte, so war ihre Ver-
ehrung eben nur ein Abfall zur Vielgötterei der umwohnenden heidnischen
Stämme, wie ja auch die Israeliten ähnlicher Versuchung unterlegen waren.
Dass aber der Glaube an den Gott Abrahams in Arabien noch in vielen
Gemüthern fortlebte, wenn er sich auch mannichfach mit fremdartigen
Elementen, selbst mit christlichen gemischt hatte, bezeugt nur um so-
bestimmter das Bedürfniss nach einer monotheistischen Anschauung.

In Mohamed's Lehre erhielt diese nun eine geläuterte Gestalt, und im
Wesentlichen, besonders im Glauben an eine Auferstehung und eine ewige
Fortdauer eine dem Christenthum verwandte Grundlage. Die Ausprägung
derselben-war aber dem theils abstrakteren, theils sinnlicheren Leben des
Orients angepasst: ersteres durch die ungetheilte Einheit des göttlichen
Wesens, letzteres durch die verhängnissvolle Aufnahme eines fatalistischen
Princips und die überaus sinnliche Ausmalung des Jenseits. Obwohl nun
dem Islam eine moralische Richtung nicht fehlt, obwohl Tapferkeit, Frei-
gebigkeit, Gastfreundschaft, Treue und Grossmuth jedem Moslem vorge-
schrieben sind, mangelt doch durch jene seltsame Mischung der Eeligion
des Mohamed jene höhere sittliche Weihe, die der Lehre Christi inne-
wohnt. Dem entsprach auch die Art, wie der Prophet seinen Glauben
ausbreitete, indem er neben der friedlichen Propaganda Feuer und Schwert
zu Hülfe nahm und den Fanatismus seiner Anhänger zum blutigen Glau-
benskrieg entfachte. Einmal von dem Flammengeiste der religiösen Ekstase
hingerissen, obendrein durch die unermesslichen Schätze der zu erobernden
Beiche angelockt, brachen die Araber wie ein verheerender Strom über die
verrottete byzantinische Herrschaft sowie über die weichlich entarteten
orientalischen Beiche dahin, und so unwiderstehlich war dieser Andrang,
dass im J. 644 beim Tode Omar's, des zweiten Nachfolgers des Propheten,
34 Jahre nach dem ersten Auftreten Mohamed's, das Gebiet des Islam
von Tripoli bis an die Grenzen Indiens, und vom indischen Ocean bis an
den Kaukasus sich erstreckte und nicht bloss Arabien, Syrien und Palä-
stina, sondern auch das grosse Keich der Perser, Aegypten und die Nord-
küste Afrika's umfasste. Und kaum hundert Jahre waren seit den ersten
 
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