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Lübke, Wilhelm
Grundriss der Kunstgeschichte — Stuttgart, 1864

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https://doi.org/10.11588/diglit.2899#0486
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466 Viertes Buch. Die Kunst der neueren Zeit.

Hallen, in die ausgedehnten Prospekte einer festlich schmuckvollen Archi-
tektur hineinsetzen, und im fröhlich hunten Gewände der Zeit die alten
heiligen Geschichten in neuem Sinn wieder vorführen. Alle Kraft und
Tiefe der Charakteristik, alle leidenschaftliche Bewegung des Moments,
alle freie Bethätigung des individuellen Lehens nimmt sie mit jugendlicher
Energie auf und weiss uns mit ihrem treuherzigen Ernst, ihrer liebevollen
Gründlichkeit so hinzureissen und zu fesseln, dass wir an keinen Anachro-
nismus mehr denken und mit frohem Dank uns in die unversiegliche Quelle
von Daseinslust tauchen, die in diesen Werken sprudelt.

"Wie immer schafft auch jetzt der geistige Drang der Zeit sich die
entsprechenden äusseren Hülfsmittel. Für die Wandbilder scheint schon
zu Giotto's Zeiten das Fresko mit seinen klaren, lichten Tönen, seiner
freien, kühnen Behandlung, seiner dauerhaften, soliden Technik, die alte
befangene Temperamalerei verdrängt zu haben. Fortan behauptet es sich
alleinherrschend für die Ausführung der grossen monumentalen Darstel-
lungen. Eine noch folgenreichere Erfindung war die in Flandern von den
Gebrüdern van Eyck zur Geltung gebrachte und mit reissender Schnellig-
keit über alle Kunstschulen Europa's verbreitete Oelmalerei, die dem
realistischen Streben eine durch Kraft, leuchtende Klarheit und zarten
Schmelz unübertreffliche Technik darbot, deren Ausbildung in der Folge
zu ganz neuen Kunstrichtungen, neuen Wirkungen und Zielen führen sollte.
Und noch anderer Erfindungen ist hier zu gedenken, des Kupferstichs
und Holzschnitts, welche durch mechanische Vervielfältigung die künst-
lerischen Conceptionen weithin verbreiten und dadurch zu einem rascheren
Austausch, zu mannichfacher Wechselwirkung der verschiedenen Meister
und Schulen beitrugen.

Aber nicht bloss die Mittel, auch der Darstellungskreis der Ma-
lerei wurde unendlich erweitert. Weil man nicht mehr malen wollte,
was religiös, sondern was menschlich schön und bedeutend war, so fasste
man nicht nur in den religiösen Stoffen die allgemein menschliche Seite
ins Auge, sondern eroberte selbst das Gebiet der antiken Mythologie und
Sage neu für die Kunst. Auch bei der Auffassung und Durchführung
dieser Stoffe durfte die individuelle Phantasie sich völlig frei und selb-
ständig bewegen. Bald folgte die profane Historienmalerei nach; das
Genre, die Landschaft schlössen sich an, und immer weitere Kreise zog
die Malerei in ihren Bereich, so dass zuletzt das ganze Naturleben und
jede Aeusserung menschlicher Thätigkeit und Zustände von der künstleri-
schen Phantasie darauf angesehen wurde, inwiefern sie sich unter dem
Lichte des Ewigen, Wahren und Schönen betrachten und durch die Kunst
verklären lasse.

Auf welche Weise jedoch im Laufe der Zeit die neuen Prinzipien sich
allmählich schärfer herausarbeiten, immer klarer erkannt und in Auffas-
 
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