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Lübke, Wilhelm
Grundriss der Kunstgeschichte — Stuttgart, 1864

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https://doi.org/10.11588/diglit.2899#0632
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612 Viertes Buch. Die Kunst der neueren Zeit.

Christus am Kreuz, von den Seinigen betrauert, spricht sich ein tiefes
Pathos der Empfindung aus; in der Pindung Mosis ist ein alttestamen-
tarischer Gegenstand durch das Zeitkostüm und poetische landschaftliche
Umgehung zu einer anmuthigen Legende umgebildet; endlich bietet die
Hochzeit zu Cana ein recht schönes Beispiel der grossen Gastmahldar-
stellungen, in denen Paolos Kunst glänzte. Das Hauptbild dieser Art
ist jedoch die im Louvre zu Paris befindliche Darstellung derselben Scene.
Auf einer Leinwand von sechshundert Quadratfuss entwickelt der Meister
den heitren Glanz, das festlich erregte Lebensgefühl seiner Tage; die
Hauptpersonen, Christus und seine Mutter, sind ganz in den Hintergrund
gedrängt und erscheinen an dieser verschwenderischen Festtafel fast wie
ungebetene Gäste. -Nicht viel kleiner ist das Gemälde vom Gastmahl des
Levi in der Akademie zu Venedig, das durch seinen lichten Ton und
die köstlichen weiten Säulenhallen ein wohliges Gefühl heitren, freien Da-
seins gibt. Noch eine Keihe andrer Werke derselben Art finden sich in
verschiedenen Galerieen und lassen über die unverwüstliche Frische des
Meisters staunen, der immer neue anziehende Motive aus dem wirklichen
Leben dabei einzustreuen weiss.

Auch eine grosse Anzahl mythologischer und allegorischer Bilder malte
er in seiner letzten Zeit an Wänden und Decken des Dogenpalastes zu
Venedig, und obgleich diese Darstellungen nicht immer rein und edel
gefasst sind, so haben sie doch wenigstens eine prächtige Farbe und
einen kraftvollen Hauch des Lebens, der alles Frostige der Allegorie ver-
gessen macht.

Sehen wir also diesen hochbegabten Meister in einer ganzen Gattung
seiner Bilder — und gewiss den zu seiner Zeit beliebtesten — die hei-
lige Geschichte nur noch als Vorwand zu einer prächtigen Schilderung des
Lebens benutzen, so greift ein andrer tüchtiger Künstler derselben Schule
noch eine Stufe tiefer ins niedere Leben und wird dadurch der. Begründer
der eigentlichen Genremalerei. Dies ist der von seiner Vaterstadt
Bassano zugenannte Jacopo da Ponte (1510 bis 1592), der in Venedig
zuerst an Tizians Werken sich bildete, dann aber sich eine ganz eigene,
bis dahin noch nicht aufgetretene Darstellungsweise schuf. Er sucht das
niedere Leben, Bauernhöfe und Hütten mit ihren derben Bewohnern, mit
ihrem Vieh, Geflügel, ihrem Ackergeräth und sonstigem Beiwerk auf,
stellt es mit prächtiger Farbe und keckem Pinsel dar, malt bisweilen eine
heilige Geschichte oder eine Profanhistorie als Staffage hinein, lässt aber
eben so gern diese Zuthat fort und erfreut sich an der derben Schilderung
des niederen Daseins und selbst an der Darstellung lebloser Gegenstände.
Indem er dies mit ächter Lust, mit heitrer TJnverdrossenheit und einem
sich immer gleich bleibenden, gediegenen Colorit zur Erscheinung bringt,
kehrt er allerdings aller bisherigen vornehmen Malerei den Bücken, öffnet
 
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