Forensisch-anthropologische Untersuchungen am „Mädchen aus dem
Uchter Moor“
Forensic and anthropological study of “the young woman from the Uchter Moor”
Eilin Jopp, Klaus Püschel und Andreas Bauerochse
mit einem Beitrag von Andreas Fuhrmann und Uwe J. Rother
Zusammenfassung: Im Jahre 2000 wurde in Niedersachsen im Großen Moor bei Uchte ein fragmentierter Leich-
nam aufgefunden, der im Institut für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf rechtsmedizi-
nisch untersucht wurde. Die anthropologischen und odontologischen Befunde sprachen dafür, dass es sich um
den Leichnam einer etwa 17-20 Jahre alten Frau handelte. Geformte Verletzungen oder Spuren von Werkzeugein-
wirkungen konnten ebenso wenig wie Zahnarbeiten nachgewiesen werden. Harris-Linien an den Schienbeinen
belegen, dass die Person mehrmals nachhaltigen physischen Stresssituationen ausgesetzt war.
Entsprechend der Radiokarbondatierungen handelt es sich um eine Moorleiche aus der vorrömischen Eisen-
zeit, die aufgrund der konservierenden Eigenschaften der Torfmoose (Sphagnen) den Zeitraum von über 2600
Jahren überdauert hat.
Schlagworte: Moorleiche, Anthropologie, Identifizierung, Konservierung, Harris-Linien
Abstract: In the year 2000, a fragmented corpse was found in the “Großen Moor bei Uchte” (Lower Saxony).
Forensic investigations were made at the Institute of Legal Medicine, University Medical Center Hamburg
Eppendorf. According the anthropologic and odontologic investigations, the corpse was that of a 17-20 year old
woman. No traces of violence or dental treatment could be detected. Harris lines on the tibia provide evidence of
multiple phases of physical stress.
Radiocarbon dating demonstrates that the corpse is an early pre-Roman Iron Age bog body preserved by the
special Chemical conditions in a raised bog.
Keywords: bog body, anthropology, identification, Conservation, Harris lines
Im September 2000 wurde das Institut für Rechts-
medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Ep-
pendorf mit der Untersuchung eines Leichen-
fundes aus dem Großen Moor bei Uchte beauf-
tragt. Dort hatten Arbeiter beim Torfabbau die
Reste eines menschlichen Körpers gefunden, der
im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen hin-
sichtlich der Klärung von Fragen zur Identität, der
Todesursache sowie der Liegezeit untersucht wer-
den sollte (Bauerochse et al. 2005; Püschel et al.
2005, in diesem Band). Zu diesem Zweck wurden
die durch die Polizei am Fundort sichergestellten
Leichenteile sowie ein vom Fundort stammendes
Torfstück an das Hamburger Institut übergeben.
Anthropologische Untersuchung
Die forensisch-anthropologische Untersuchung
ergab, dass es sich um große Teile eines mensch-
lichen Skelettesmitanhaftendenundbeiliegenden
Hautfragmenten handelte (Abb. 1). Bei der ersten
Begutachtung waren der fast vollständige Schädel
mit Unterkiefer, Arme und Beine, Teile der Wir-
belsäule, das Becken, Rippen und beide Füße
erhalten. Die Hände waren bis auf wenige Finger-
und Mittelhandknochen nicht erhalten. Am lin-
ken Oberarm sowie am linken Oberschenkel haf-
teten lederartige Haut- und Gewebereste an (Tab.
1). Alle weiteren Hautpartien waren vom Skelett
abgelöst und konnten nicht zugeordnet werden.
Die erhaltenen Knochen waren durch die Lage-
rung im Moor größtenteils entkalkt und teilweise
verformt. Der Unterkiefer wies starke Deformati-
onen auf, der Oberkiefer war in zwei Teile zerbro-
chen. Die Zähne waren teilweise porös erhalten
und befanden sich noch in den Zahnfächern
(Alveoli dentales). Am Hirnschädel befanden
sich rötliche, bis zu 14 cm lange Reste der Kopf-
haare (Abb. 3).
Aufgrund der noch offenen Wachstumsfugen
an Femur, Tibia, Humerus, Radius und Ulna
sowie der noch nicht verknöcherten Schädelnäh-
te wurde das Lebensalter der Person zunächst auf
ca. 16-19 Jahre geschätzt (Abb. 4; Tab. 2).
Entsprechend der Befunde konnte auch eine
Geschlechtsbestimmung zunächst nur unter Vor-
behalt erfolgen, da bei noch nicht ausgewach-
senen Individuen die geschlechtstypischen Merk-
male, vor allem am Becken, noch nicht vollstän-
dig ausgebildet sind. Hinzu kam, dass durch die
Verformung der Knochen eine Bestimmung der
Körpergröße erschwert wurde. Aufgrund der
Becken- und Schädelmorphologie (hier war nur
Uchter Moor“
Forensic and anthropological study of “the young woman from the Uchter Moor”
Eilin Jopp, Klaus Püschel und Andreas Bauerochse
mit einem Beitrag von Andreas Fuhrmann und Uwe J. Rother
Zusammenfassung: Im Jahre 2000 wurde in Niedersachsen im Großen Moor bei Uchte ein fragmentierter Leich-
nam aufgefunden, der im Institut für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf rechtsmedizi-
nisch untersucht wurde. Die anthropologischen und odontologischen Befunde sprachen dafür, dass es sich um
den Leichnam einer etwa 17-20 Jahre alten Frau handelte. Geformte Verletzungen oder Spuren von Werkzeugein-
wirkungen konnten ebenso wenig wie Zahnarbeiten nachgewiesen werden. Harris-Linien an den Schienbeinen
belegen, dass die Person mehrmals nachhaltigen physischen Stresssituationen ausgesetzt war.
Entsprechend der Radiokarbondatierungen handelt es sich um eine Moorleiche aus der vorrömischen Eisen-
zeit, die aufgrund der konservierenden Eigenschaften der Torfmoose (Sphagnen) den Zeitraum von über 2600
Jahren überdauert hat.
Schlagworte: Moorleiche, Anthropologie, Identifizierung, Konservierung, Harris-Linien
Abstract: In the year 2000, a fragmented corpse was found in the “Großen Moor bei Uchte” (Lower Saxony).
Forensic investigations were made at the Institute of Legal Medicine, University Medical Center Hamburg
Eppendorf. According the anthropologic and odontologic investigations, the corpse was that of a 17-20 year old
woman. No traces of violence or dental treatment could be detected. Harris lines on the tibia provide evidence of
multiple phases of physical stress.
Radiocarbon dating demonstrates that the corpse is an early pre-Roman Iron Age bog body preserved by the
special Chemical conditions in a raised bog.
Keywords: bog body, anthropology, identification, Conservation, Harris lines
Im September 2000 wurde das Institut für Rechts-
medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Ep-
pendorf mit der Untersuchung eines Leichen-
fundes aus dem Großen Moor bei Uchte beauf-
tragt. Dort hatten Arbeiter beim Torfabbau die
Reste eines menschlichen Körpers gefunden, der
im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen hin-
sichtlich der Klärung von Fragen zur Identität, der
Todesursache sowie der Liegezeit untersucht wer-
den sollte (Bauerochse et al. 2005; Püschel et al.
2005, in diesem Band). Zu diesem Zweck wurden
die durch die Polizei am Fundort sichergestellten
Leichenteile sowie ein vom Fundort stammendes
Torfstück an das Hamburger Institut übergeben.
Anthropologische Untersuchung
Die forensisch-anthropologische Untersuchung
ergab, dass es sich um große Teile eines mensch-
lichen Skelettesmitanhaftendenundbeiliegenden
Hautfragmenten handelte (Abb. 1). Bei der ersten
Begutachtung waren der fast vollständige Schädel
mit Unterkiefer, Arme und Beine, Teile der Wir-
belsäule, das Becken, Rippen und beide Füße
erhalten. Die Hände waren bis auf wenige Finger-
und Mittelhandknochen nicht erhalten. Am lin-
ken Oberarm sowie am linken Oberschenkel haf-
teten lederartige Haut- und Gewebereste an (Tab.
1). Alle weiteren Hautpartien waren vom Skelett
abgelöst und konnten nicht zugeordnet werden.
Die erhaltenen Knochen waren durch die Lage-
rung im Moor größtenteils entkalkt und teilweise
verformt. Der Unterkiefer wies starke Deformati-
onen auf, der Oberkiefer war in zwei Teile zerbro-
chen. Die Zähne waren teilweise porös erhalten
und befanden sich noch in den Zahnfächern
(Alveoli dentales). Am Hirnschädel befanden
sich rötliche, bis zu 14 cm lange Reste der Kopf-
haare (Abb. 3).
Aufgrund der noch offenen Wachstumsfugen
an Femur, Tibia, Humerus, Radius und Ulna
sowie der noch nicht verknöcherten Schädelnäh-
te wurde das Lebensalter der Person zunächst auf
ca. 16-19 Jahre geschätzt (Abb. 4; Tab. 2).
Entsprechend der Befunde konnte auch eine
Geschlechtsbestimmung zunächst nur unter Vor-
behalt erfolgen, da bei noch nicht ausgewach-
senen Individuen die geschlechtstypischen Merk-
male, vor allem am Becken, noch nicht vollstän-
dig ausgebildet sind. Hinzu kam, dass durch die
Verformung der Knochen eine Bestimmung der
Körpergröße erschwert wurde. Aufgrund der
Becken- und Schädelmorphologie (hier war nur