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Bauerochse, Andreas [Hrsg.]; Haßmann, Henning [Hrsg.]; Püschel, Klaus [Hrsg.]
"Moora" - Das Mädchen aus dem Uchter Moor: eine Moorleiche der Eisenzeit aus Niedersachsen (Band 37): "Moora" - das Mädchen aus dem Uchter Moor — Rahden/​Westf.: Verlag Marie Leidorf, 2008

DOI Artikel:
Schilling, Arndt; Marshall, Robert Percy; Jopp-van Well, Eilin; Morlock, Michael; Amling, Michael; Püschel, Klaus: Dreidimensionale archäologische Knochendichtemessung als Spiegel der biomechanischen Belastung zur Lebzeit von "Moora" 650 vor Christus
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https://doi.org/10.11588/diglit.69460#0086
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Dreidimensionale archäologische Knochendichtemessung als Spiegel
der biomechanischen Belastung zur Lebzeit von „Moora“ 650 vor Christus
Three-dimensional bone-density measurements as an indicator of biomechanical
stress during the life of “Moora” around 650 B.C.
Arndt F. Schilling, Robert P. Marshall, Eilin Jopp, Michael M. Morlock,
Michael Amling und Klaus Püschel
Zusammenfassung: Menschliche Überreste aus Mooren, sogenannte Moorleichen, zeigen eine besonders gute Kon-
servierung des Weichgewebes, die es ermöglicht, auch noch nach Jahrtausenden wertvolle Informationen über die
menschliche Zivilisation zu gewinnen. Auf der anderen Seite führt das saure Milieu des Moores zu einer starken Demi-
neralisation der skelettalen Bestandteile von Moorleichen, wodurch deren Analyse erschwert wird. Die Untersuchung
der Knochendichte der Moorleiche aus dem Uchter Moor ergab, dass die annähernd 2.700 Jahre im sauren Milieu des
Moores zu einem Verlust von 92,7 °/o der Knochenmasse geführt haben. Der Seitenvergleich der Knochenmineraldichte
an Armen und Beinen zeigte ein Verteilungsmuster, wie es typischerweise bei Linkshändern gefunden werden kann.
Die Analyse der Knochenmikrostruktur in einem Halswirbelkörper weist, selbst für dieses junge Alter, eine unge-
wöhnlich dichte Knochenbinnenstruktur auf. Möglicherweise hat das Mädchen zu Lebzeiten schwere Lasten, wie z.B.
Wasserkrüge, auf dem Kopf getragen. Über eine paläophysiologische Untersuchung des Knochens lassen sich zerstö-
rungsfrei zusätzliche Informationen über die Lebensweise von Menschen aus früheren Zeitaltern gewinnen.
Schlagworte: Moorleiche, pCT, pQCT, Knochendichte, Biomechanik
Abstract: The soft tissue of human remains from raised bogs, so-called bog bodies, is commonly exceptionally well
conserved. This allows valuable information about human civilization to be extracted from these specimens even
after thousands of years. The state of preservation of the skeletal elements of bog bodies on the other hand is usually
poor, because the acid environment of the bog leads to demineralisation of the bone material with subsequent loss
of its three-dimensional stability and structure. Indeed, 2,700 years of immersion of the skeleton of “Moora” in the
bog has led to a loss of 92.7% of its bone mineral density. Fortunately, and in contrast to other bog bodies, the three-
dimensional macro- and microstructure of the bones of “Moora” are well preserved, making it possible to carry out
a detailed analysis of skeletal micro- and macrostructures. The distribution of bone mineral density in arms and
legs suggests that “Moora” was probably left-handed. From the exceptionally high bone density in the cervical
spine, it may be deduced that she possibly carried heavy loads like water jars on her head. Paleophysiologic analysis
of human bone allows additional information on the lifestyle of historic and prehistoric man to be obtained without
destroying any of the valuable tissue.
Keywords: bog body, pCT, pQCT, bone density, biomechanics

Einleitung
Das Skelettsystem ist ein lebendes Organ, welches
sich laufend an die biomechanischen Anforde-
rungen anpasst, die an es gestellt werden. Zu die-
sem Zweck beherbergt der Knochen spezialisierte
Zellen, die stark beanspruchte Skelettabschnitte
verstärken (Osteoblasten) und unbelastete Regi-
onen abbauen (Osteoklasten; Schilling et al.
2001). Das führt bei Sportlern mit einer stark ein-
seitigen Belastung, wie z.B. bei Tennisspielern, zu
einem wesentlich stärkeren Knochen auf der domi-
nanten Seite als auf der unbelasteten (Calbet et al.
1998). Aber auch schon die leichten Belastungsun-
terschiede, die sich daraus ergeben, ob jemand
Links- oder Rechtshänder ist, führen im Laufe der
Jahre zu einer differenziellen Ausbildung der Kno-
chenstruktur (Gumustekin et al. 2004). Entspre-
chend ist das Skelett zu jeder Zeit ein Spiegel der
biomechanischen Lebensumstände.

Der große Vorteil von Moorleichen für an-
thropologische Untersuchungen ist die hervorra-
gende Konservierung von Weichgewebe durch
die Tanninsäuren im Torf. Diese Gewebefixie-
rung ermöglichte es 8.000 Jahre altes mensch-
liches Gewebe, welches bei der Ausgrabungsstät-
te bei Windover (Florida, USA) gefunden wurde,
histologisch zu untersuchen (Doran et al. 1986)
und sogar DNA daraus zu gewinnen (Lawlor et
al. 1991). Eben diese Tanninsäuren erschweren
aber auf der anderen Seite die Untersuchungen
der skelettalen Elemente von Moorleichen. Die
Säure führt zu einer starken Demineralisierung
des Knochens mit einem konsekutiven Verlust
der dreidimensionalen Stabilität (Pyatt et al.
1991). Strömungen im Moor können einen so ge-
schwächten Knochen stark verformen oder wie
im Fall der bei Lindow gefundenen Moorleiche
auf eine Dicke von wenigen Zentimetern zusam-
mendrücken (Pyatt et al. 1991).
 
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