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A. F. Schilling, R. P. Marshall, E. Jopp, M. M. Morlock, M. Amling und K. Püschel
Topographische Knochenmineraldichte
und Händigkeit bei „Moora“
Glücklicherweise blieb bei den Knochen von
„Moora“, der Moorleiche aus dem Uchter Moor,
trotz der starken Demineralisierung, die dreidi-
mensionale Struktur nahezu vollständig erhalten
(Abb. 1). So konnten über eine hochauflösende
topographische Knochendichteanalyse weitere
Anhaltspunkte über die möglichen Lebensum-
stände des Mädchens gewonnen werden. In einem
ersten Schritt wurde die kortikale Knochenmi-
neraldichte an Armen und Beinen bestimmt.
Hierzu wurden beidseits am Arm die Speiche (Ra-
dius) und am Bein der Schienbeinknochen (Tibia)
mit einem peripheren quantitativen Computerto-
mographen vermessen. Diese Maschine erlaubt
eine topographische Bestimmung des Kalksalz-
gehaltes des Knochens, unabhängig vom umge-
benden Weichteilmantel. Aus diesem Grund wird
diese Technik auch in der Diagnostik von Pati-
enten mit Knochenstoffwechselstörungen wie
zum Beispiel der Osteoporose oder der Pycno-
dysostose eingesetzt (Schilling et al. 2007b).
„Moora“ zeigte eine durchschnittliche volumetri-
sche kortikale Knochendichte von 88,4 mg/cm3
im Radius und 83,7 mg/cm3 in der Tibia. Die
Beobachtung, dass der kortikale Knochen des
Arms eine etwas höhere Knochenmineraldichte
hat als der Beinknochen, deckt sich mit aktuellen
Daten über die Knochendichte bei jungen Frauen
(Nikander et al. 2006). Durchschnittliche Werte
für ein weibliches Referenzkollektiv in diesem
Alter sind 1205 mg/cm3 im Radius und 1146 mg/
cm3 in der Tibia. Folglich haben 2.700 Jahre im
sauren Milieu des Moores bei „Moora“ zu einer
Reduktion der Knochenmineraldichte um 92,7 %
sowohl im Radius als auch in der Tibia geführt.
Passend zu diesen Daten wurde für die 2.000 Jah-
re alte Moorleiche „Lindow II“ eine Abnahme des
durchschnittlichen Kalziumgehaltes des Kno-
chens um 81,2 °/o publiziert (Pyatt et al. 1991;
Basle et al. 1990). Ob die Unterschiede zwischen
„Moora“ und „Lindow II“ auf die verschieden
lange Verweildauer im sauren Milieu des Moores
zurückzuführen sind oder ob eine unterschied-
liche chemische Zusammensetzung des Torfes
eine Rolle spielt, werden weitere Untersuchungen
zeigen müssen. Bei „Moora“ findet sich im linken
Radius und in der rechten Tibia im Vergleich zur
Gegenseite eine leicht erhöhte Knochendichte.
Weiterführende Untersuchungen in den Knochen
des Armes (Humerusdiaphyse und Diaphyse der
Ulna) und des Beines (Schenkelhals, Intratro-
chantärregion und Femurdiaphyse) bestätigten,
dass die Knochen des linken Armes und des rech-
ten Beines einen höheren Mineralisationsgrad auf-
weisen als die Knochen der jeweils kontralateralen
Seite (Schilling et al. 2007a). Dies ist ein typischer
Befund für Personen, die anstrengende körper-
liche Tätigkeiten ausführen bei denen asymmet-
risch der linke Arm stärker belastet wird als der
rechte (Gumustekin et al. 2004). Die erhöhte Kno-
chendichte im rechten Bein resultiert daraus, dass
bei Linkshändern in der Regel das rechte Bein als
Standbein fungiert und daher hier höhere Kräfte
wirken als im linken Bein. „Moora“ hat also wahr-
scheinlich schwere körperliche Arbeit verrichtet
und war Linkshänderin.
Knochenmikrostrukturanalyse eines
Halswirbels offenbart hohe Belastung
des Kopfes
Basierend auf den Daten für die kortikale Kno-
chendichte, konnte aus einem hochauflösenden
Mikro-CT-Datensatz ein dreidimensionales Mo-
dell des trabekulären Knochens im Halswirbel-
körper C3 von „Moora“ erzeugt und analysiert
werden. Die so gemessene relative Knochendichte
in diesem Wirbelkörper liegt mit 34,4% um etwa
10 % höher als die im Jahr 1995 vermessener Hals-
wirbelkörper in einem gesunden Referenzkollek-
tiv (Grote et al. 1995). Es gibt zwei Möglichkeiten
diese erhöhte Knochendichte zu erklären:
1. Die Parameter für die Berechnung des drei-
dimensionalen trabekulären Modells wurden
von der gemessenen Knochendichte in der Kor-
tikalis abgeleitet. Wenn die Dekalzifizierung im
Trabekelsystem langsamer voranschreiten würde
als in der Kortikalis, wäre das eine mögliche
Erklärung der beobachteten erhöhten Knochen-
dichte im Wirbelkörper. Allerdings erscheint die-
se Erklärung nicht sehr wahrscheinlich, da ge-
zeigt werden konnte, dass trabekulärer Knochen
aufgrund seiner größeren Oberfläche eher schnel-
ler abgebaut wird als kortikaler Knochen. Gegen
diesen Erklärungsansatz spricht auch, dass die
beobachtete durchschnittliche Trabekeldicke mit
177 [im im Normbereich für dieses Alter liegt
(Gebauer et al. 2006).
2. „Moora“ hatte wirklich eine stärkere trabe-
kuläre Mikrostruktur in der Halswirbelsäule. Als
wahrscheinlichste Erklärung hierfür bietet sich an,
dass sie zu Lebzeiten schwere Objekte, wie Wasser-
krüge, auf ihrem Kopf getragen haben könnte. Be-
trachtet man die dreidimensionale Rekonstruktion
(Abb. 2B), wird offenbar, dass die trabekuläre Ar-
chitektur eher von plattenartigen Elementen als
von stabartigen Elementen dominiert wird. Diese
Beobachtung wurde quantifiziert, indem der Struk-
A. F. Schilling, R. P. Marshall, E. Jopp, M. M. Morlock, M. Amling und K. Püschel
Topographische Knochenmineraldichte
und Händigkeit bei „Moora“
Glücklicherweise blieb bei den Knochen von
„Moora“, der Moorleiche aus dem Uchter Moor,
trotz der starken Demineralisierung, die dreidi-
mensionale Struktur nahezu vollständig erhalten
(Abb. 1). So konnten über eine hochauflösende
topographische Knochendichteanalyse weitere
Anhaltspunkte über die möglichen Lebensum-
stände des Mädchens gewonnen werden. In einem
ersten Schritt wurde die kortikale Knochenmi-
neraldichte an Armen und Beinen bestimmt.
Hierzu wurden beidseits am Arm die Speiche (Ra-
dius) und am Bein der Schienbeinknochen (Tibia)
mit einem peripheren quantitativen Computerto-
mographen vermessen. Diese Maschine erlaubt
eine topographische Bestimmung des Kalksalz-
gehaltes des Knochens, unabhängig vom umge-
benden Weichteilmantel. Aus diesem Grund wird
diese Technik auch in der Diagnostik von Pati-
enten mit Knochenstoffwechselstörungen wie
zum Beispiel der Osteoporose oder der Pycno-
dysostose eingesetzt (Schilling et al. 2007b).
„Moora“ zeigte eine durchschnittliche volumetri-
sche kortikale Knochendichte von 88,4 mg/cm3
im Radius und 83,7 mg/cm3 in der Tibia. Die
Beobachtung, dass der kortikale Knochen des
Arms eine etwas höhere Knochenmineraldichte
hat als der Beinknochen, deckt sich mit aktuellen
Daten über die Knochendichte bei jungen Frauen
(Nikander et al. 2006). Durchschnittliche Werte
für ein weibliches Referenzkollektiv in diesem
Alter sind 1205 mg/cm3 im Radius und 1146 mg/
cm3 in der Tibia. Folglich haben 2.700 Jahre im
sauren Milieu des Moores bei „Moora“ zu einer
Reduktion der Knochenmineraldichte um 92,7 %
sowohl im Radius als auch in der Tibia geführt.
Passend zu diesen Daten wurde für die 2.000 Jah-
re alte Moorleiche „Lindow II“ eine Abnahme des
durchschnittlichen Kalziumgehaltes des Kno-
chens um 81,2 °/o publiziert (Pyatt et al. 1991;
Basle et al. 1990). Ob die Unterschiede zwischen
„Moora“ und „Lindow II“ auf die verschieden
lange Verweildauer im sauren Milieu des Moores
zurückzuführen sind oder ob eine unterschied-
liche chemische Zusammensetzung des Torfes
eine Rolle spielt, werden weitere Untersuchungen
zeigen müssen. Bei „Moora“ findet sich im linken
Radius und in der rechten Tibia im Vergleich zur
Gegenseite eine leicht erhöhte Knochendichte.
Weiterführende Untersuchungen in den Knochen
des Armes (Humerusdiaphyse und Diaphyse der
Ulna) und des Beines (Schenkelhals, Intratro-
chantärregion und Femurdiaphyse) bestätigten,
dass die Knochen des linken Armes und des rech-
ten Beines einen höheren Mineralisationsgrad auf-
weisen als die Knochen der jeweils kontralateralen
Seite (Schilling et al. 2007a). Dies ist ein typischer
Befund für Personen, die anstrengende körper-
liche Tätigkeiten ausführen bei denen asymmet-
risch der linke Arm stärker belastet wird als der
rechte (Gumustekin et al. 2004). Die erhöhte Kno-
chendichte im rechten Bein resultiert daraus, dass
bei Linkshändern in der Regel das rechte Bein als
Standbein fungiert und daher hier höhere Kräfte
wirken als im linken Bein. „Moora“ hat also wahr-
scheinlich schwere körperliche Arbeit verrichtet
und war Linkshänderin.
Knochenmikrostrukturanalyse eines
Halswirbels offenbart hohe Belastung
des Kopfes
Basierend auf den Daten für die kortikale Kno-
chendichte, konnte aus einem hochauflösenden
Mikro-CT-Datensatz ein dreidimensionales Mo-
dell des trabekulären Knochens im Halswirbel-
körper C3 von „Moora“ erzeugt und analysiert
werden. Die so gemessene relative Knochendichte
in diesem Wirbelkörper liegt mit 34,4% um etwa
10 % höher als die im Jahr 1995 vermessener Hals-
wirbelkörper in einem gesunden Referenzkollek-
tiv (Grote et al. 1995). Es gibt zwei Möglichkeiten
diese erhöhte Knochendichte zu erklären:
1. Die Parameter für die Berechnung des drei-
dimensionalen trabekulären Modells wurden
von der gemessenen Knochendichte in der Kor-
tikalis abgeleitet. Wenn die Dekalzifizierung im
Trabekelsystem langsamer voranschreiten würde
als in der Kortikalis, wäre das eine mögliche
Erklärung der beobachteten erhöhten Knochen-
dichte im Wirbelkörper. Allerdings erscheint die-
se Erklärung nicht sehr wahrscheinlich, da ge-
zeigt werden konnte, dass trabekulärer Knochen
aufgrund seiner größeren Oberfläche eher schnel-
ler abgebaut wird als kortikaler Knochen. Gegen
diesen Erklärungsansatz spricht auch, dass die
beobachtete durchschnittliche Trabekeldicke mit
177 [im im Normbereich für dieses Alter liegt
(Gebauer et al. 2006).
2. „Moora“ hatte wirklich eine stärkere trabe-
kuläre Mikrostruktur in der Halswirbelsäule. Als
wahrscheinlichste Erklärung hierfür bietet sich an,
dass sie zu Lebzeiten schwere Objekte, wie Wasser-
krüge, auf ihrem Kopf getragen haben könnte. Be-
trachtet man die dreidimensionale Rekonstruktion
(Abb. 2B), wird offenbar, dass die trabekuläre Ar-
chitektur eher von plattenartigen Elementen als
von stabartigen Elementen dominiert wird. Diese
Beobachtung wurde quantifiziert, indem der Struk-