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Bauerochse, Andreas [Editor]; Haßmann, Henning [Editor]; Püschel, Klaus [Editor]
"Moora" - Das Mädchen aus dem Uchter Moor: eine Moorleiche der Eisenzeit aus Niedersachsen (Band 37): "Moora" - das Mädchen aus dem Uchter Moor — Rahden/​Westf.: Verlag Marie Leidorf, 2008

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Ickerodt, Ulf F.: "Oh schaurig ist's, übers Moor zu gehen" - zur gesellschaftlichen Wahrnehmung des Moorleichenfundes "Moora", dem Mädchen aus dem Uchter Moor, am Beispiel von Film und Belletristik
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https://doi.org/10.11588/diglit.69460#0121
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118

Ulf F. Ickerodt

1 Einleitung
Im Spätsommer 2000 werden beim Torfabbau im
Uchter Moor (Ldkr. Nienburg, Niedersachsen)
Teile eines menschlichen Körpers gefunden. Die
örtliche Polizei wird verständigt und bringt den
Fund schnell mit einem ungeklärten Verbrechen in
Verbindung: In den 1960er Jahren war in der Ge-
gend eine junge Frau spurlos verschwunden. Han-
delt es sich bei den menschlichen Überresten, die
im Moor gefunden worden sind, um die Leiche die-
ser Frau? Als im Frühjahr 2005 von Torfarbeitern
an der gleichen Stelle eine Hand gefunden wird,
wendet sich der zuständige Beamte an die staatliche
Denkmalpflege, da er den Erhaltungszustand der
Hand mit dem von Mumien in Verbindung bringt,
und beide Stellen beginnen mit ihrer gemeinsamen
Ermittlung (Püschel et al. 2005).
Kurze Zeit später setzt ein enormes öffent-
liches Interesse aller Medien an der Moorleiche
sowie an der damit verbundenen wissenschaft-
lichen Untersuchung ein. Was macht diese wis-
senschaftliche Untersuchung der Moorleiche für
die Öffentlichkeit so interessant?
Mit dieser Fragestellung befindet man sich
thematisch im Umfeld eines spannenden Kom-
plexes aus rezeptions- bzw. wirkungsgeschicht-
lichen Fragestellungen1 und den sich daraus erge-
benden wissenschaftssoziologischen und wis-
senschaftsethischen Aspekten, denen hier in der
Folge nachgegangen werden soll.
Ausgangspunkt ist dabei der Ansatz, dass zwi-
schen der fachlich-wissenschaftlichen Selbstwahr-
nehmung hinsichtlich der Bedeutung des Moorlei-
chenfundes und der gesellschaftlichen Außen-
wahrnehmung dieser selben „Fakten“ eine Wahr-
nehmungsverschiebung festzustellen ist. Sie
resultiert aus unterschiedlichem Vorwissen, da die
zur Kommunikation verwendeten Begriffe sowohl
auf der wissenschaftlichen als auch auf der gesell-
schaftlichen Ebene in jeweils unterschiedliche se-
mantische Beziehungsgeflechte eingebunden sind.
Dieses führt letztendlich dazu, dass die von wis-
senschaftlicher Seite aus kommunizierten Sach-
verhalte durch einen bestimmten, gesellschaftlich
konventionalisierten Erfahrungshorizont gebeugt
werden (Ickerodt 2005a).
Dieses gesellschaftliche Vorwissen ist kultur-
historisch verankert und kann einleitend anhand
des Grusels, der von Leichen und Wiedergängern
ausgeht und der in zahlreichen Filmen genutzt
wird, vereinfacht umschrieben werden. Beispiele
hierfür sind neben dem Mumienfilmgenre (Ick-

Mit der Rezeption von Moorleichen in der Kunst setzt sich Eisen-
beiss (2007) auseinander.


Abb. 1 Cover der DVD-Ausgabe des Films „Trance“

erodt 2004) im Hinblick auf die motivische
Verarbeitung der Moorleiche der finnische
Spielfilm „Noita Palaa Elämään“ (Fin 1954)2
oder der amerikanische Horrorfilm „Trance“
(USA 1998; Abb. I)3. Doch diese beiden Filme
allein können das große öffentliche und mediale
Interesse an „Moora“ nicht erklären. Daher bie-
tet es sich an, den hier gewählten Betrachtungs-
winkel zu erweitern.
Als die Hand der Moorleiche „Moora“ im Früh-
jahr 2005 entdeckt wurde, waren in etwa zeitgleich
mehrere, die Thematik betreffende Fernsehfilme
und Romane erschienen4. Im Fernsehen lief im
Rahmen der beliebten ARD-Reihe „Tatort“ die
Folge „Der dunkle Fleck“ (BRD 2002; Abb. 2)5
oder in der ZDF-Reihe „Der letzte Zeuge“ die Fol-

2 „Gefährlich sind die hellen Nächte“ (Ickerodt 2004 Kat. 12.3.1 Nr.
87). Hier findet ein junger Archäologe in einem finnischen Moor
ein Hexengrab, in dem tags darauf ein unbekanntes Mädchen liegt.
Die deutsche Erstausstrahlung erfolgte am 8.1.1963 im Kino.
3 „Trance“ (Ickerodt 2004 Kat. 12.3.1 Nr. 376). Hier wird eine
amerikanische Familie, die die Großmutter der Frau in Irland
besucht, mit einer 2000 Jahre alten mumifizierten Moorleiche
konfrontiert. Die in der Eisenzeit im Moor beigesetzte Hexe
will von der Frau Besitz ergreifen.
4 Zuvor waren bereits Blobel (1992) und Klugmann (1998)
erschienen.
5 Hauptkommissar Frank Thiel und der Rechtsmediziner Karl-
Friedrich Boerne finden heraus, dass es sich bei einer Moorlei-
che um die vor vielen Jahren spurlos verschwundene Tochter
der Familie Alsfeld handelt.
 
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