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Vorwort des Herausgebers

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Vorwort des Herausgebers

Der Kronsberg in Rullstorf, der sich bei Scharnebeck
im Landkreis Lüneburg aus der Elbtalniederung erhebt,
bildet eine etwa 24 ha große Siedlungskammer, die
dank mächtiger Sandüberwehungen hervorragende
Erhaltungsbedingungen für Siedlungen, Bestattungen,
Kultbauten und Werkplätze von der Steinzeit bis ins
frühe Mittelalter erbracht hat. Der inzwischen einge-
stellte großflächige Sand- und Kiesabbau erforderte
Großgrabungen über drei Jahrzehnte. Eine ausführliche
Beschreibung der Entstehung und Entwicklung des
von Dr. Wilhelm Gebers begründeten Denkmalpflege-
und Forschungsprojektes „Siedlungskammer Rullstorf"
findet sich in Rullstorf Band II (Materialhefte zur
Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens, Band 44).
Es ist der Entschlossenheit und Energie von Wilhelm
Gebers zu verdanken, dass nun schon der vierte Band
vorgelegt werden kann und weitere Bände bereits in
Arbeit sind.
Nachdem in den ersten drei Bänden das Material
der riesigen Fundstelle 5 vorgelegt wurde, widmet sich
der vorliegende Band IV den Befunden und Funden
des Urnenfriedhofs der Fundstelle 8 auf dem Rulls-
torfer Kronsberg. Das Gräberfeld war schon lange
vor dem Beginn der systematischen archäologischen
Untersuchungen durch einzelne Urnengräber aufge-
fallen, die im Verlauf der ersten Sandentnahmen
zutage gekommen waren. Einzelne besser erhaltene
Urnen wurden damals in die Sammlung der Schule
in Scharnebeck aufgenommen. Mit dem beginnenden
maschinellen Bodenabbau war das Urnengräberfeld
in seinem Bestand stärker bedroht als je vorher. Es
ist dem Rullstorfer Heimatforscher und langjährigen
Unterstützer des Projektes, Christian Krohn, zu danken,
dass er freiliegende und angeschnittene Urnengräber
entdeckt und geborgen hat. Durch seine entscheiden-
den Hinweise wurden 1982 mit der Anlage erster
Suchschnitte unter der Leitung von Wilhelm Gebers
vom Niedersächsischen Institut (heute Landesamt)
für Denkmalpflege die Grenzen des Urnenfriedhofs
erkundet.
In den folgenden Jahren wurden die Grabungsflä-
chen bis weit in die beackerte Fläche hinein erweitert.
Dadurch war es möglich, nicht nur das Urnengräber-
feld, sondern auch seine unmittelbare Umgebung in die
Untersuchungen einzubinden. So ist es gelungen, eine
für die jüngere Bronzezeit in dieser Region einmalige

historische Quelle zu erschließen. Die Qualität der
Fundstelle liegt nicht nur in der umfassenden, nahezu
vollständigen Ausgrabung des gut erhaltenen Friedho-
fes, sondern auch in der Einbeziehung der erst Jahre
später ausgegraben dazu gehörenden Siedlungsflächen.
Durch die dreißig Jahre währenden Ausgrabungen ist
die beinahe einmalige Forschungssituation entstanden,
dass die Grabungsergebnisse aus dem Urnengräberfeld
mit denen der zugehörigen, vollständig ausgegrabenen
Siedlung verbunden werden können.
Die Auswertungen im Bereich der Siedlungsflä-
chen, die mit Funden und Befunden vom Neolithikum
bis ins frühe Mittelalter aufwarten können, sind noch
lange nicht abgeschlossen. In einem ersten Schritt wird
mit diesem Band nicht nur das Urnengräberfeld vorge-
legt, sondern auch die wechselseitige Verbindung zur
benachbarten Siedlung aufgezeigt. In der Verknüpfung
dieser Ergebnisse und ihren möglichen Erklärungen
wird deutlich, wie groß das Erkenntnispotenzial ist,
das mit diesem Forschungsvorhaben verbunden ist.
Die archäologischen Auswertungen werden durch
zwei naturwissenschaftliche Teilprojekte ergänzt. Das
erste behandelt mehrere Analysen von Dr. Robert
Lehmann und Avraam Georgios vom Institut für Anor-
ganische Chemie der Leibniz Universität Hannover
an Bronzen, die aus dem Urnengräberfeld stammen.
Hier sollten weiterführende Erkenntnisse über die
Metallzusammensetzung, die Herkunft der Bronzen
und die Gusstechnik gewonnen werden. Da man den
Nachweis von Bronzeguss in verlorener Form mit der
zugehörigen Siedlung in Verbindung bringen kann,
sind diese Untersuchungen von besonderem Interesse.
Von großem Wert ist auch die wissenschaftliche
Auswertung der Knochenbrände aus dem Urnen-
friedhof durch Dr. Peter Caselitz, Buchholz. Diese
Arbeit wurde parallel zur archäologischen Betrachtung
des Friedhofs geleistet. Die Informationen über das
Geschlecht und das erreichte Lebensalter der Bestat-
teten machen die Strukturen der jungbronzezeitlichen
Siedlungsgemeinschaft vollständiger sichtbar. Toten-
rituale und religiöse Vorstellungen der Menschen aus
dieser kleinen bäuerlichen Ansiedlung, die - nach den
Bronzegussresten zu urteilen - zumindest zeitweise
über einen gewissen Wohlstand verfügte, zeigen Zusam-
menhänge, die im Verlauf der weiteren Auswertung
sicher noch präzisiert werden können.
 
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