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Das jungbronzezeitliche Urnengräberfeld

erkennen lässt. Der Friedhof ist, ebenso wie die zuge-
hörige Siedlung, auf etwa drei bis vier Generationen
begrenzt und in die Periode IV zu datieren.
Auf der Grundlage dieser zeitlichen Begrenzung
und durch den Bezug zu einer bestimmten Ansiedlung
sind wir heute in der Lage, beide vorgeschichtlichen
Quellen unmittelbar miteinander zu verbinden, Bezie-
hungen aufzudecken und zeitspezifische historische
Zusammenhänge zu deuten.
Das Gräberfeld wurde von den Bewohnern etwa
300 m entfernt von der Siedlung angelegt. Es befin-
det sich in einem Gebiet des Kronsberges, das durch
seinen Reichtum an Steinen und Findlingen, die in der
Eiszeit hier abgelagert worden waren, beste Voraus-
setzungen bot, um den damaligen Grabsitten, durch
die zahlreiche Steine für den Bau der Gräber benötigt
wurden, gerecht zu werden. Der Knochenbrand der
auf dem Scheiterhaufen verbrannten Toten wurde
in Urnen bestattet. Die Urnen wurden überwiegend
mit einem aufwendigen Schutz aus Steinen umgeben
(Abb. 6), die dem örtlichen Steinbesatz entnommen
wurden. Im Verlauf der Zeit wurden auch zunächst
ungeeignete Steine und größere Findlinge durch „Feuer-
setzen" gesprengt, um genügend Gesteinsschollen als
Baumaterial für den Steinschutz der Urnengräber zu
erhalten. Die Sitte, die einzelnen Urnen durch Steine
zu schützen, ist auch in zahlreichen anderen Urnen-
gräberfeldern belegt.
Außer dem Steinschutz sind rechteckige und
runde, einlagige Gesteinspflaster aus faust- bis kopf-
großen Steinen im Zentrum des Urnengräberfeldes
angelegt worden. Auch diese Pflasterungen wurden
mit Materialien der örtlichen Rollsteinvorkommen
oder aus geschlagenen Steinen erstellt. Allerdings gibt
es Hinweise, dass auch für diesen Bedarf zusätzlich
Steine aus dem Bereich der Siedlung herangeschafft
wurden. Derartige Steine fallen durch sekundären
Brand auf und bestehen zum Teil aus Klopf- und
Mahlsteinfragmenten, die aus der Siedlung stammen
müssen, weil im Umfeld des Urnengräberfeldes keine
Siedlungsbereiche vorhanden sind, aus dem diese
Steine entnommen sein könnten (Abb. 5). Steinpflaster
haben - abweichend von anderen Fundplätzen - auf
dem Rullstorfer Gräberfeld nie zur Abdeckung eines
Urnengrabes gedient.
Wenn wir von einer bestimmten Anzahl bestat-
teter Personen sprechen, so muss uns bewusst sein,
dass wir ihre Zahl nie ganz genau ermitteln können,
denn bereits vor den Ausgrabungen hat das Gräberfeld
Beschädigungen erfahren. Ein Teil der Urnen, die
ehedem im Nordwesten des Gräberfeldes vorhanden

waren, wurde durch den Sandabbau zerstört. Einige
der dort vorhandenen Urnen konnten geborgen werden
und kamen in das Museum für das Fürstentum Lüne-
burg und in die örtliche Volksschule in Scharnebeck.
Andere wurden vom Heimatforscher Ch. Krohn an
der Sandgrubenkante ausgegraben und so vor der
Zerstörung gerettet. Aber auch durch die landwirt-
schaftliche Nutzung des Geländes waren Schäden an
den Gräbern entstanden, so dass für alle diese Anlagen
Verluste an Befunden und Funden zu verzeichnen
sind. Die Einbußen bestehen darin, dass zum Teil
der Knochenbrand nicht geborgen wurde oder auch
mit einem Verlust der kleineren Bronzebeigaben aus
diesen Urnen zu rechnen ist. Ein Vorteil besteht - auch
gegenüber anderen Gräberfeldern - darin, dass auch
die Randbereiche des Urnengräberfeldes systematisch
untersucht wurden, wodurch eine vollständige Ausgra-
bung des Bestattungsplatzes erreicht wurde.
Unter Ausschluss der zerstörten Fläche des Gräber-
feldes, die etwa 20% des ehemaligen Gräberfeldes
umfasst, sind anthropologisch 94 Individuen diffe-
renziert worden.31 Schließen wir 14 Urnengräber, die
wegen fehlendem Knochenbrand in der anthropologi-
schen Auswertung nicht erscheinen, in unsere Über-
legungen ein, so können wir mit ca. 108 bestatteten
Personen rechnen. Etwa zehn Gräber dürften völlig
unbeobachtet zerstört worden sein, so dass man ihre
Anzahl auf etwa 118 Bestattungen erhöhen müsste.
Da man diese Menschen auf die Bewohner eines
Siedlungsabschnittes der jüngeren Bronzezeit, zeitlich
auf die Bestandsdauer einer weilerartigen Ansiedlung
von ihrem Bau bis zu ihrer Zerstörung durch Brand
begrenzen kann, muss man auch von einem begrenzten
Zeitraum ausgehen, währenddessen das Gräberfeld
belegt wurde. Man kann ferner vermuten, dass wir
in den Gräbern mit Beigaben eher die privilegierten
Mitglieder der jungbronzezeitlichen Bauernfamilie
fassen. Die beigabenlosen Gräber dagegen dürften eher
auf sozial unterhalb der Bauernfamilie einzuordnende
Familienmitglieder und vor allem auf Knechte und
Mägde zurückgehen.
Können wir diesen Zeitabschnitt genauer fassen?
Es gibt Hinweise aus dem Bereich der Grabbeigaben,
die im Kap. 3.5.3 behandelt wurden, die hier weiter-
führen könnten. In drei Gräbern sind erwachsene

31 Vgl. P Caselitz in diesem Band, 170; Tab. 2.
 
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