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Das jungbronzezeitliche Urnengräberfeld

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ältere Frauen mit der Beigabe einer Knochen- oder
Bronzenadel verbunden. Zwei mutmaßliche Männer-
gräber hatten als Beigabe ein Rasiermesser, ein drittes
Grab mit einen Rasiermesserfragment kommt hinzu.
In zwei Gräbern ist eine Lanzette beigegeben. Fassen
wir mit diesen Beigaben in jeder Generation eine
festgefügte, standesgemäße Ausstattungen bestimmter
Geschlechter, verbunden mit einer privilegierten sozi-
alen Gruppierung innerhalb der bäuerlichen Familie?
Können wir diese Ausstattung so interpretieren, dass
in jeder Generation nur einer männlichen und einer
weiblichen Person diese standesgebundene Ausstattung
zustand? Die Lanzette etwa an den Beruf des Jägers
gebunden war? So gedeutet, könnte man mit etwa
drei Generationen rechnen, die auf diesem Friedhof
bestattet wurden. Für diese Interpretation spricht auch
die Beigabe von Bronzearmringen, die eindeutig an
Kindergräber gebunden ist, die wegen ihrer Grabaus-
stattung zu den privilegierten Kindern der dominanten
Bauernfamilie gehören könnten.
Selbst wenn man mit all diesen Überlegungen in
den Bereich der Spekulation gelangt, so muss es doch
erlaubt sein, diese durch die Befunde und Funde ande-
rer Gräberfelder zu verifizieren oder zu widerlegen.
An erster Stelle fragen wir nach der Anzahl
bestatteter Personen auf anderen jungbronzezeitli-
chen Gräberfeldern der Umgebung. Leider gibt es in
unmittelbarer Nachbarschaft nur wenige vollständiger
untersuchte Urnengräberfelder der Jungbronzezeit.
Weitgehend ausgegrabene Urnengräberfelder errei-
chen - wie das Gräberfeld in Rullstorf - etwa 90 bis
120 Personen und deuten damit etwa die gleiche
Bevölkerungsgröße an, die wir für die Ansiedlung in
Rullstorf nachweisen konnten.32 Größere Urnenfried-
höfe, ähnlich denen der anschließenden Eisenzeit,
scheinen in der Jungbronzezeit die Ausnahme zu
bilden.33 Die kleinen weilerartigen Ansiedlungen mit
kurzer Lebensdauer formen in der Jungbronzezeit
einen gewissen Standard, der sich vor allem auch in
der Größe der Gräberfelder zeigt und nur an wenigen
Fundplätzen durchbrochen wird. Damit können wir
bei vielen Fundstellen mit einer dem Fundplatz Rulls-
torf vergleichbaren Siedlungsgröße, einer ähnlichen
Bevölkerungsgröße und einer ähnlichen sozialen
Gliederung rechnen.

Zur sozialen Gliederung der Bevölkerung liegen
nur von wenigen Urnengräberfeldern der jüngeren
Bronzezeit Angaben über die Anzahl der Gräber mit
und ohne Beigaben vor. Keiling34 erwähnt, dass von
117 Bestatteten des Blievenstorfer Gräberfeldes nur
22 (18,7%) eine Metallbeigabe hatten. Auch unter
Einschluss der Beigaben aus Knochen und Stein haben
in Blievenstorf nur 25 Gräber (21,4%) eine Beigabe.
Wir sehen, wie sich die in Rullstorf erhobene Proz-
entwerte von 26,85% mit und 73,15% ohne Beigaben
im Großen und Ganzen in Blievenstorf wiederholen.
Wenn Keiling35 erwähnt, dass nur ein einziges Grab
mehr als eine Beigabe enthielt und dass es sich bei den
Metallbeigaben vorwiegend um kleine, in chronologi-
scher Beziehung völlig aussagelose Bronzegegenstände
handelt, ist auch dieser Befund mit dem in Rullstorf
vergleichbar.
Die Frage nach den gesellschaftlichen Strukturen
in der jüngeren Bronzezeit drängt sich an dieser Stelle
auf. Bei der Analyse des Rullstorfer Urnengräberfeldes
konnten wir die vollständig und mit ihrem Umfeld
ausgegrabene, zum Gräberfeld gehörende Siedlung in
unsere Betrachtungen einbeziehen. Dadurch scheint
die kleinste Einheit in der vertikalen Struktur der
jungbronzezeitlichen Gesellschaft mit ihrer Siedlungs-
form, mit ihrer inneren Organisation und der Anzahl
gleichzeitig in einer Siedlung lebender Menschen
konkreter fassbar zu werden. Dieser Befund wird
durch zahlreiche kleine, bäuerliche Einzelgehöfte mit
kürzerer Bestandsdauer bestätigt, so dass wir keine
lang andauernde Kontinuität im Siedlungswesen erwar-
ten dürfen. Der Grund für zahlreiche Hofwüstungen
könnte in der Erschöpfung des Ackerbodens gelegen
haben, es sind aber auch andere Gründe, z. B. krie-
gerische Auseinandersetzungen, in die Betrachtung
mit einzubeziehen.
Schauen wir über die kleinste Einheit hinaus, so
wird uns durch die Hortfunde deutlich, dass wir in
der vertikalen Struktur mit anderen Gruppierungen
rechnen müssen.
Freudenberg ist bei ihrer Analyse der Grabfunde
der jüngeren Bronzezeit in Dänemark ausführlich
auf die vertikalen Strukturen dieses Zeitabschnitts
eingegangen.36 Ob es nun Anregungen sind, die sich
aus der Interpretation der Hortfundsitten während

32 Blievestorf, Kr. Ludwigslust zählt 117 jungbronzezeitliche 34 Keiling 1964, 46.
Urnengräber. Keiling 1964, 40.

33 Breddin 1989; Breddin 1992.

35 Keiling 1964, 47.
36 Freudenberg 1989.
 
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