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Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 1.1958

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Nr. 2 / 3
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Haag, Erich: Und noch einmal die Rolle des Lateins am Neusprachlichen Gymnasium
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https://doi.org/10.11588/diglit.32956#0026
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stelien zu müssen, so ergibt sich als zwingender Schluß, daß nun mit Quarta — wenn
auch leicht verspätet — das Latein eintreten muß. Natürlich enthält das Englische und
Französische wertvollstes, für die höhere deutsche Bildung fruchtbares Kulturgut; aber
die Möglichkeit der Einordnung in ein gültiges ’Weltbild, die Kategorien der Burteilung
und die Wertmaßstäbe ergeben sich eben nicht aus den nationalen Besonderungen, son-
dern aus der lateinischen und (wie ich gerechterweise jetzt hinzufügen muß) griechischen
Begründung des abendländischen Weltverständnisses.

Aus diesem Grundgedanken ergibt sich meine Stellung zu den verschiedenen Punkten
Ihres Schreibens. Sie beanstanden meine Feststellung, daß nach Ihrem Plane Latein die
Rolle der „Gebrauchssprache“ erhalten soll. Sie sagen: Wäre Französisch dritte Fremd-
sprache und könnte darum die in ihm beschlossenen Bildungswerte nicht zur Auswirkung
bringen, dann müßte es sich mit der bescheidenen Rolle der Gebrauchssprache begniigen
(der Ausdruck „Gebrauchssprache" stammt übrigens aus dem Sprachgebrauch der Ar-
beitsgemeinschaft Deutsche Flöhere Schule).

Latein als dritte Fremdsprache, so muß ich Sie verstehen, ist so viel leichter als
Französisch, daß es auch an dritter Stelle Bildungssprache wird sein können; eine er-
staunliche Feststellung über eine Sprache, die, wenn sie ihre Bildungswirkung tatsächlich
entfalten soll, mehr als jede moderne Fremdsprache einen vollen Einsatz erfordert.

Sie sprechen davon, daß nach dem Erlernen zweier moderner Fremdsprachen der
deutsche Schüler für die Aufgabe des Lateinunterrichts hervorragend ausgerüstet sei,
daß der Lehrer nicht mehr langsam von Konjugation zu Konjugation . . . fortzuschreiten
brauche, sondern sehr bald einen synoptischen Überblick über den ganzen so bewunde-
rungswürdig ldaren Formenbau des Latein geben könne. Erlauben Sie, daß ich diesen
Vorteil von Grund aus bezweifle, und zwar deshalb, weil hier die geschichtliche Reihen-
folge umgekehrt ist. Sie wiinschen sich einen Altsprachler, der in der Lage ist, von
Englisch und Französisch aus die Beziehungen zum Lateinischen herzustellen. Man kann
natürlich „den Gaul auch am Schwanz aufzäumen“. Ich wünsche mir aus der Logik
der geschichtlichen Tatsachen einen Neuphilologen, der imstande ist, vom Lateinischen
her, die natürlichen Beziehungen zu Englisch und Französisch herzustellen. Das ist der
einzig natürliche Gang der Herleitung, und ich weiß mich darin mit vielen Sprach-
wissenschaftlern einig. Der synoptische Überblick über den Formenbau des Lateins ist
ein bloßer, sehr vergänglicher Wissensbesitz, der bildungsmäßig nicht wiegt; bei der
Erarbeitung der lateinischen Grammatik handelt es sich doch um nichts anderes als
darum, in einem griindlichen Verständnis des sprachlichen Ausdrucks die feinere Struk-
tur des Gedankens zu erfassen, die in der modernen Sprache immer nur annähernd
ausgedrückt ist. Ich kann die altpreußische Erfahrung mit einem vierjährigen Latein-
unterricht nicht beurteilen, da mein Land dazu keine Erfahrungsbasis bietet. Unser frei-
williger vierjähriger Lateinunterricht an Oberrealschulen, der nur von auserlesenen
Schülern besucht werden durfte, führte bei strenger Arbeit zur Lektüre Caesars, und
damit zum Kleinen Latinum. Aber ich möchte glauben, daß das Urteil der Fakultäten
darüber ein klares Urteil spricht, nämlich, daß die Kenntnisse dieses vierjährigen Lehr-
gangs nicht genüg'en, die für ein wissenschaftliches Studium unentbehrlichen Kenntnisse
des Latein und die damit verbundene geschichtliche Tiefe zu begründen. Die national-
sozialistische Schule hat mit dem pflichtmäßigen 24stiindigen Lateinunterricht der Ober-
schule während sechs Jahren ein Fiasko erlitten; Sie versprechen, mit maximal 21 Stun-
den in ftinf Jahren ein befriedigendes Ergebnis zu erzielen. Erlauben Sie mir, daß ich
das einfach für unmöglich halte, und daß ich dem Urteil der Fakultäten in dieser Frage
ein größeres Gewicht zumesse. Ich teile ganz Ihre Überzeugung, daß man heute mcht
so sehr auf den Prüfungsschein bestehen soll, aber wenn - nach der Entscheidung der
Kultusministerkonferenz - die Teilnahme an einem vier- oder fünfjährigen Latein-

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