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Wozu sollen wir uns nocb mit der Antike beschäjtigen?
Die Stellung der humanistischen Bildung im tecbniscben Zeitalter*
Unter diesem Titel hat der ScKriftsteller und Redakteur der ,Rheinischen
Post e, Egon Vietta, eine Diskussion eröffnet, die eine Reihe wertvoller, geistig
selbständiger Beiträge zum Problem angeregt hat (veröffentlicht in den Samstag-
ausgaben v. 30. 11. 57-8. 2. 58). Vietta geht von folgendem Gedanken aus,
„Das künftige Problem wird sein, sich in der richtigen Weise mit der Antike
zu beschäftigen, in einer Weise, die den Anforderungen des modernen Lebens
entspricht. Wir haben daher Pädagogen und Wissenschaftler (Anm.: auch Schrift-
steller, Kritiker, Journalisten, Dramaturgen usw.) aufgefordert, sich zu Thesen,
in denen einige Aspekte bewußt scharf oder zum Widerspruch reizend formu-
liert wurden, zu äußern.“
Viettas Analyse als Ausgangspunkt:
„Heute gehört die Kenntnis der Antike nicht mehr zum gesellschaftlichen
Umgang. Damit ist ein weiter, praktischer Anwendungsbereich der antiken
Kenntnisse entfallen. Die Erforschung der Antike ist eine Sache der Spezialisten
geworden. Als ich Werner Jaeger an der Harvarduniversität sprach, klagte
er nicht über fehlende Mittel, sondern fehlende Schüler.“ „Aber ist die antike
Historie nicht so populär, daß eine Massenillustrierte eine ständige historische
Beilage drucken kann? Die Neugier für Historie ist jedoch nicht gleichbedeutend
mit der Teilnahme an der Antike. Der humanistische Glaube an die Antike ist
auf die modernen Massen nicht übergegangen. Ihr wirkliches Interesse gilt der
Technik und Wissenschaft. Das unmittelbare Erbe der Antike wird am Mittel-
meer verwaltet.“ . . . „Im ersten Weltkrieg ist der klaffende Riß zwischen huma-
nistischem Bildungsglauben und der technischen Realität offenbar geworden.
Der Humanismus ist keine Bildungsmacht mehr, soziologisch gesehen. Er ist
ein wissenschaftliches Spezialgebiet.“ „In den modernen Staaten wie Rußland,
Amerika, und für die heutige technische Expansion in Afrika, Asien und
Australien spielt die Antike, ihr Bildungsgut, ihre Weisheit überhaupt keine
entscheidende Rolle mehr.“
Wie Vietta sich eine Lösung denkt:
„Wir müssen auf den Anfang zurückgreifen, wo die Griechen zum ersten Mal
Materie wissenschaffiich gesehen haben. Das hat sich um 500 v. Chr. vollzogen,
zur selben Zeit, als Buddha Ähnliches für die Betrachtung des Menschen ver-
langte.“ . . . „Ist aber klar, daß unser technisch-wissenschaftliches Denken in
der Antike und sonst nirgends wurzelt, so kann uns die Umwelt dieses Denkens
nicht gleichgültig sein. Dann lst die „Situation“ - wie es modern heißt —, aus
Anm. d. Red.: Thema II: „Die Kasseler Reformschule“ kann aus Raumnot erst
in Heft 4 gebracht werden.
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Wozu sollen wir uns nocb mit der Antike beschäjtigen?
Die Stellung der humanistischen Bildung im tecbniscben Zeitalter*
Unter diesem Titel hat der ScKriftsteller und Redakteur der ,Rheinischen
Post e, Egon Vietta, eine Diskussion eröffnet, die eine Reihe wertvoller, geistig
selbständiger Beiträge zum Problem angeregt hat (veröffentlicht in den Samstag-
ausgaben v. 30. 11. 57-8. 2. 58). Vietta geht von folgendem Gedanken aus,
„Das künftige Problem wird sein, sich in der richtigen Weise mit der Antike
zu beschäftigen, in einer Weise, die den Anforderungen des modernen Lebens
entspricht. Wir haben daher Pädagogen und Wissenschaftler (Anm.: auch Schrift-
steller, Kritiker, Journalisten, Dramaturgen usw.) aufgefordert, sich zu Thesen,
in denen einige Aspekte bewußt scharf oder zum Widerspruch reizend formu-
liert wurden, zu äußern.“
Viettas Analyse als Ausgangspunkt:
„Heute gehört die Kenntnis der Antike nicht mehr zum gesellschaftlichen
Umgang. Damit ist ein weiter, praktischer Anwendungsbereich der antiken
Kenntnisse entfallen. Die Erforschung der Antike ist eine Sache der Spezialisten
geworden. Als ich Werner Jaeger an der Harvarduniversität sprach, klagte
er nicht über fehlende Mittel, sondern fehlende Schüler.“ „Aber ist die antike
Historie nicht so populär, daß eine Massenillustrierte eine ständige historische
Beilage drucken kann? Die Neugier für Historie ist jedoch nicht gleichbedeutend
mit der Teilnahme an der Antike. Der humanistische Glaube an die Antike ist
auf die modernen Massen nicht übergegangen. Ihr wirkliches Interesse gilt der
Technik und Wissenschaft. Das unmittelbare Erbe der Antike wird am Mittel-
meer verwaltet.“ . . . „Im ersten Weltkrieg ist der klaffende Riß zwischen huma-
nistischem Bildungsglauben und der technischen Realität offenbar geworden.
Der Humanismus ist keine Bildungsmacht mehr, soziologisch gesehen. Er ist
ein wissenschaftliches Spezialgebiet.“ „In den modernen Staaten wie Rußland,
Amerika, und für die heutige technische Expansion in Afrika, Asien und
Australien spielt die Antike, ihr Bildungsgut, ihre Weisheit überhaupt keine
entscheidende Rolle mehr.“
Wie Vietta sich eine Lösung denkt:
„Wir müssen auf den Anfang zurückgreifen, wo die Griechen zum ersten Mal
Materie wissenschaffiich gesehen haben. Das hat sich um 500 v. Chr. vollzogen,
zur selben Zeit, als Buddha Ähnliches für die Betrachtung des Menschen ver-
langte.“ . . . „Ist aber klar, daß unser technisch-wissenschaftliches Denken in
der Antike und sonst nirgends wurzelt, so kann uns die Umwelt dieses Denkens
nicht gleichgültig sein. Dann lst die „Situation“ - wie es modern heißt —, aus
Anm. d. Red.: Thema II: „Die Kasseler Reformschule“ kann aus Raumnot erst
in Heft 4 gebracht werden.
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