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Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 4.1961

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Nr. 3
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Rüstow, Alexander: Gymnasium perpetuum
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https://doi.org/10.11588/diglit.33060#0036
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destens sieben Jahre umfassen und durch eine Prüfung abgeschlossen werden
muh. Der DAV bittet die Kultusministerien der Länder, diesen Erwägungen bei
der Neugestaltung der Oberstufe der Gymnasien Rechnung zu tragen. Er beruff
sich hierbei auf das ausführliche Memorandum an die Ständige Konferenz der
K.ultusminister vom 10. 2. 1960.

Gymnasium perpetuum^

von Universitätsprofessor Dr. Alexander Rüstow, Heidelberg
(mit freundlicher Erlaubnis des Verfassers übernommen)

Unsere abendländische Kultur haftet im fruchtbaren Muttergrund der Welt-
geschichte mit zwei starken Pfahlwurzeln: der Antike und dem Christentum.

Seitdem sich der Apostel Paulus mit der ganzen Wucht einer ebenso genialen
wie komplizierten Persönlichkeit für die Missionsrichtung nach dem Westen und
damit für die Synthese mit der griechisch-römischen Antike entschieden hatte,
kann man die ganze Geschichte des abendiändischen Geistes betrachten unter
dem Gesichtspunkt der Synthese, der spannungsvollen Auseinandersetzung zwi-
schen diesen beiden Komponenten. Einer Auseinandersetzung, die noch keines-
wegs abgeschlossen ist, sondern die, wenn nicht alles täuscht, sogar im Begriffe
steht, in ein neues Stadium einzutreten, obwohl die schon an verschiedenen Stel-
len sichtbaren Symptome solcher neuen Auseinandersetzung vielfach noch nicht
als solche erkannt werden. Es ist eine Auseinandersetzung, die vielleicht nie
ihren Abschluß erreichen und wohl so lange dauern wird, wie der Geist, inner-
halb dessen dieser Prozeß stattfindet, überhaupt am Leben ist. Sie ist geradezu
ein Lebenssymptom des abendländischen GeistesL

Das Christentum war von Anfang an verkörpert in der immer machtvoller
sich festigenden und ausbreitenden Organisation der Kirche - für das Abend-
land der Römischen Kirche. Die Tradition der Antike dagegen entbehrte zu-
nächst jeder eigenständigen organisatorischen Verkörperung; sie war seit der Er-
hebung des Christentums zur Staatsreligion des Reiches auf die Pflege durch die
Kirche angewiesen und auf die WirkungskraA des gewaltigen Gewichts und des
unerschöpflichen Reichtums ihrer eigenen geistigen Substanz, gesichert durch die
Tatsache, daß die Sprache des Neuen Testaments das Griechische und die des
Kultes das Lateinische war.

Innerhalb des kirchlichen Bereichs drang die Antike in immer neuen Schüben
weiter vor; die scholastische Philosophie, im Aquinaten gipfelnd, wie die Er-

1 Gleichlautender Titel der „Festgabe zur 200-Jahrfeier des Schönborn-Gymnasiums
Bruchsal, dargebracht von ehemaligen Lehrern und Schülern" 1955, herausgegeben
von der Vereinigung der Freunde des Schönborn-Gymnasiums.

2 Geistige Grundlagen des Bewußtseins der europäischen Einheit, in: Europa - Erbe
und Aufgabe, Internationaler GelehrtenkongreE Mainz 1955, herausgegeben von
Martin Göhring, Wiesbaden 1956, S. 3.
 
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