Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 4.1961

DOI issue:
Nr. 3
DOI article:
Rüstow, Alexander: Gymnasium perpetuum
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33060#0037
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
neuerung und Weiterbildung des Römischen Rechts, beide ununterbrochen bis
heute weiterwirkend, waren Ergebnisse solchen Vordringens. Renaissance und
Humanismus endiich schienen innerhalb der christiichen Welt der antiken Kom-
ponente Gieichberechtigung, wo nicht Übergewicht, verschaifen zu wollen, als
die Reformation den umgreifenden Rahmen der Una Sancta sprengte und als
polare Paralielbewegung die Gegenreformation, die reforme catholique, er-
zwang.

Im protestantischen Bereich ergab sich daraus eine Säkularisierung des Schul-
wesens, eingeleitet durch Luthers Aufruf von 1523 an die Ratsherren aherStädte
deutschen Landes, daß sie christiiche Schulen aufrichten und halten soilen, und
ausgebaut durch Melanchthons Wirksamkeit als Praeceptor Germaniae.. Im
katholiscnen Bereich war es vor ahern die Societas Jesu, die sich mit besonderer
Intensität und Weitherzigkeit der Entwicklung eines humanistischen Schulwesens
widmete. Sie stellte ja auch den ersten Lehrkörper des Bruchsaler Schönborn-
Gymnasiums. Seit Reformation und Gegenreformation beruht so bei uns die
organisierte Pflege des antiken Erbes im wesentlichen auf dem Humanistischen
Gymnasium. Es ist nicht dieses Ortes, seine geistes- wie soziaigeschichtiich gleich
interessante Entwickiung zu verfolgen^. Seine bisher letzte durchgreifende Er-
neuerung — und zugleich weitere Säkularisierung erfolgte bekanntlich durch Wil-
helm von Humboldt auf der geistigen Grundlage des deutschen Neuhumanismus.

Die Hauptleistung des deutschen Neuhumanismus bestand darin, daß man
über die lateinische Tradition des Mittelalters auf die Griechen zurückging, daß
man sozusagen die Griechen neu entdeckte als den Urquell des Humanismus.
Daraus hätte konsequenter Weise schon Wilhelm von Humboldt die Foigerung
ziehen müssen, das Griechische als Hauptfach einzuführen. Das konnte er nicht,
weil damals die mittelalterliche Tradition des Lateinischen noch so stark und
selbstverständlich herrschte, daß dagegen nicht anzukommen war^. Heute ist
diese Tradition außerhalb des Bereichs der katholischen Kirche nicht mehr da.
Es hindert uns also nichts, heute die Konsequenzen zu ziehen, die er noch nicht
ziehen konnte, und das Griechische mit dem Latein auszutauschen. Natürlich
bin ich mir dessen bewußt, daß das auch heute noch Schwierigkeiten macht. Aber
wenn wir neun Jahre lang Griechisch treiben könnten, wenn wir also den jungen
Menschen Griechisch so beibringen würden, daß sie es fließend verstehen können,
wenn wir Homer, Hesiod, die Tragiker, Thukydides, Plato, das Neue Testament
wirklich lesen könnten, das wäre doch etwas, das würde den jungen Menschen
erst wirklich zeigen, was überhaupt Humanismus ist. Natürlich würde noch im-
mer Latein gelehrt werden, nur würde es dann an die ihm gebührende zweite
Stelle treten. Außerdem könnte imLatein die Beschränkung auf die „klassischen"
Schriffsteller wegfallen, die sich bisher dadurch rechtfertigte, daß sie das grie-

s Vgl. Fritz Blättner: Das Gymnasium, Aufgaben der Höheren Schulc in Geschichte
und Gegenwart. Quelle & Meyer Verlag, Heidelberg, 1960.

4 Jedoch hndet sich in Humboldts Königsberger Schulplan von 1809 immerhin mit
Bezug auf die bciden alten Sprachen die Bemerkung „sei es nun, daß sie (die Schüler)
beide zugleich oder eine, und welche? zuerst anhngen" (Schriften zur Anthropologie
und Bildungslehre, herausgegeben von Andreas Flitner 1956, S. 75).

3
 
Annotationen