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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 4.1961

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Nr. 3
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Rüstow, Alexander: Gymnasium perpetuum
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https://doi.org/10.11588/diglit.33060#0039
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sie im übrigen aber für das mathematisch-naturwissenschaAliche Gymnasium
reservieren. Ich gestehe der Mathematik, in Übereinstimmung mit Plato, auf der
einen Seite den gleichen Biidungswert zu wie auf der anderen Seite der Antike.
Aber nicht beides, entweder - oder, man sollte sich entscheiden. Denn was un-
serem Schuiwesen fehlt, das ist der Mut zur Einheitiichkeit und Konzentration.
Und eben das führt heute zu den vielfach beklagten Erscheinungen der Über-
bürdung und Überforderung.

Wenn man sich über Lehrstolfe und Lehrpläne Gedanken macht, so geht man
meist wie selbstverständiich von der Frage aus, welche Kenntnisse das moderne
Leben von einem Menschen verlangt. Die meisten dieser notwendigen Kennt-
nisse aber, nebst einer Überfülle von weniger nötigen oder unnötigen, vermittelt
dieses moderne Leben von früh an auf die verschiedensten Weisen schon un-
mittelbar, so daß die Schule es gar nicht nötig hat, sich noch darum zu bemühen.
Was aber das moderne Leben ganz und gar nicht gibt, und was deshalb nur die
Schule geben kann, das ist einBiidungsmittelpunkt, ein zentraierKristaHisations-
punkt, um den sich diese Unsummen von Wissensstoff, von denen wir heute
überschwemmt werden, erst sinnvoH und beherrschbar ordnen können. Nicht
MitteHung von Wissensstoff, sondern Bildung ist deshalb die spezihsche und
unersetzliche Aufgabe der Schule, und das kann gar nicht nachdrücklich und
schroff genug betont werden. Für Bildung sorgt entweder die Schule oder gar
niemand. Diese Bildungsaufgabe läßt sich freilich nicht ohne das Material
gleichzeitig übermittelten Stoffes erfüllen. Dabei ist aber diese Stoffübermitt-
iung nur dienendes Mittel zu jenem höheren gestalthaften und gestaitenden
Zweck. Die Gefahr, die dabei unbedingt vermieden werden muß, ist die, daß
die Mittel durch ihre ungebändigte Überfülle den Zweck verdecken und sich ihm
gegenüber selbständig machen. Denn „Biidung ist das, was bieibt, wenn man
alies Geiernte vergessen hat" (Kerschensteiner). Daraus ergibt sich die strenge
Forderung, nur soiche Stoffe und nur so viei an Stoffen zuzulassen, ais zur Er-
reichung des Biidungszweckes unbedingt notwendig ist und in seinen Dienst ge-
stelit werden kann. Denn ohne Biidungszentrum muß jede Schuie zu einem
bioßen Apparat für die Übermittlung von Kenntnissen und für die Einübung
von Fertigkeiten herabsinkenL

s Die weltpolitische Dringlichkeit einer durchgreifenden Erziehungsreform (wie An-
merkung 4) S. 75-77 und 74-75.

Genau so auch schon Wiihelm von Humboldt in seinen beiden Schulpfänen von 1809
(Schriften wie Anmerkung 3, S. 72, 73, 78, 77):

Es soli „ahgemeiner Grundsatz sein", „die Übung der Kräfte auf jeder Gattung
von Schulen allemal vollständig und ohne irgendeinen Mangel vorzunehmen, alle
Kenntnisse aber . . ., wie notwendig sie auch sein mögen, vom Schulunterricht aus-
zuschließen, und dem Leben . . . vorzubehalten". Ein entgegengesetztes Vorgehen
hieße „die zur Bildung bestimmte Zeit der Abrichtung mißbrauchen und die Köpfe
verderbcn". Man soll „beim Unterricht nicht auf das Bedürfnis des Lebens, sondern
rein auf ihn selbst, auf die Kenntnis als Kenntnis, auf die Bildung des Gemüts und
im Hintergrund auf die WissenschaA" sehen. „Was das Bedürfnis des Lebens oder
eines einzelnen seiner Gewerbe erheische, muß abgesondert und nach vollendetem
allgemeinem Unterricht crworben werden."

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