sehen zur Selbstbestimmung, zur Selbstverwirklichung verhelfen, so verschieden
sie sich auch den Grundriß dieser Selbstverwirklichung vorstellen.
3. Alle diese Entwürfe menschlicher Selbstverwirklichung, auch der primäre,
der idealistische, zeigen Einseitigkeiten; man tut z. B. weder dem idealistischen
noch dem sozialistischen Humanismus Unrecht, wenn man behauptet, daß jener
- der idealistische Humanismus - den Intellekt und die Person, daß hingegen
dieser — der sozialistische Humanismus - die materiellen Bedingungen und die
Struktur des gesellschaftlichen Kollektivs überschätze. Durch derlei Einseitig-
keiten wird keiner der gegenwärtigen Humanismen grundsätzlich widerlegt -
auch der idealistische nicht.
4. Die gegenwärtigen Humanismen haben ein recht unterschiedliches prak-
tisches Gewicht. So ist z. B. die rationalistisch-biologische Richtung, ein anglo-
amerikanisches Erzeugnis, auf dem Kontinent kaum heimisch geworden, und der
Existentialismus, der im Zeitalter des zweiten Weltkrieges eine dominierende
Rolle spielte, scheint nunmehr stark an Terrain zu verlieren. Mit den Huma-
nismen christlicher Observanz hat es wieder eine andere Bewandtnis: die christ-
liche Religion erschöpft sich nicht in einem wie immer beschaffenen Humanismus.
So bleibt - außer der christlichen Religion - lediglich der marxistische Huma-
nismus als ernsthafter Konkurrent oder Partner übrig, und zwar nicht nur wegen
der Größe seiner Anhängerschaft, sondern auch wegen der Erheblichkeit seines
gedanklichen Potentials.
Aus diesen vier Prämissen müssen sich eigentlich für den Adepten des pri-
mären Humanismus folgende Konsequenzen ergeben: da alle Humanismen der
Gegenwart im Prinzip dasselbe Ziel verfolgen (Punkt 2), da sie sich andererseits
in ihrer bisherigen Verwirklichung samt und sonders nicht von Einseitigkeiten
freizuhalten wußten (Punkt 3), besteht für den Anhänger des primären Huma-
nismus kein zulänglicher Grund, den jüngeren Humanismen das Daseinsrecht
streitig zu machen. Nun verfügt einzig der primäre Humanismus durch seine
Bindung an die alten Sprachen über ein festes stoffliches Fundament (Punkt 1) -
der Adept dieses Humanismus muß also bestrebt sein, jenes Fundament für alle
Erscheinungsformen des Humanismus fruchtbar zu machen; sein Tun1 muß sich
an den vielschichtigen Voraussetzungen der Gegenwart, an dieser Gegenwart
selbst orientieren, und es besteht kein zulänglicher Grund, weshalb es sich nicht
stets im Horizont der christlichen Religion und des Sozialismus (Punkt 4) ab-
spielen sollte. Anders ausgedrückt: in dem Maße, in dem der Adept des primä-
ren Humanismus an ein stoffliches Substrat, an die mühsame Vermittlung der
alten Sprachen gebunden ist, in diesem Maße hat er die Pflicht, das in diesem
Substrat schlummernde Potential jeweils voll zu aktualisieren (er ist also inso-
weit Diener von Zwecken, die außerhalb seiner liegen) - er sollte sich nicht auf
eine bestimmte humanistische Dogmatik (z. B. auf die der Jaeger-Schule) fest-
legen; er sollte flexibler und liberaler sein und den Zugang zu allen Humanis-
men der Gegenwart, zum Humanismus schlechthin, zu erschließen suchen. Wie
ein Blick auf das Kernstück aller Humanismen, auf die Sorge um die Bestim-
mung des Menschen, zeigt, wird eine solche Kompetenzerweiterung durch die
Sache selbst nahegelegt.
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sie sich auch den Grundriß dieser Selbstverwirklichung vorstellen.
3. Alle diese Entwürfe menschlicher Selbstverwirklichung, auch der primäre,
der idealistische, zeigen Einseitigkeiten; man tut z. B. weder dem idealistischen
noch dem sozialistischen Humanismus Unrecht, wenn man behauptet, daß jener
- der idealistische Humanismus - den Intellekt und die Person, daß hingegen
dieser — der sozialistische Humanismus - die materiellen Bedingungen und die
Struktur des gesellschaftlichen Kollektivs überschätze. Durch derlei Einseitig-
keiten wird keiner der gegenwärtigen Humanismen grundsätzlich widerlegt -
auch der idealistische nicht.
4. Die gegenwärtigen Humanismen haben ein recht unterschiedliches prak-
tisches Gewicht. So ist z. B. die rationalistisch-biologische Richtung, ein anglo-
amerikanisches Erzeugnis, auf dem Kontinent kaum heimisch geworden, und der
Existentialismus, der im Zeitalter des zweiten Weltkrieges eine dominierende
Rolle spielte, scheint nunmehr stark an Terrain zu verlieren. Mit den Huma-
nismen christlicher Observanz hat es wieder eine andere Bewandtnis: die christ-
liche Religion erschöpft sich nicht in einem wie immer beschaffenen Humanismus.
So bleibt - außer der christlichen Religion - lediglich der marxistische Huma-
nismus als ernsthafter Konkurrent oder Partner übrig, und zwar nicht nur wegen
der Größe seiner Anhängerschaft, sondern auch wegen der Erheblichkeit seines
gedanklichen Potentials.
Aus diesen vier Prämissen müssen sich eigentlich für den Adepten des pri-
mären Humanismus folgende Konsequenzen ergeben: da alle Humanismen der
Gegenwart im Prinzip dasselbe Ziel verfolgen (Punkt 2), da sie sich andererseits
in ihrer bisherigen Verwirklichung samt und sonders nicht von Einseitigkeiten
freizuhalten wußten (Punkt 3), besteht für den Anhänger des primären Huma-
nismus kein zulänglicher Grund, den jüngeren Humanismen das Daseinsrecht
streitig zu machen. Nun verfügt einzig der primäre Humanismus durch seine
Bindung an die alten Sprachen über ein festes stoffliches Fundament (Punkt 1) -
der Adept dieses Humanismus muß also bestrebt sein, jenes Fundament für alle
Erscheinungsformen des Humanismus fruchtbar zu machen; sein Tun1 muß sich
an den vielschichtigen Voraussetzungen der Gegenwart, an dieser Gegenwart
selbst orientieren, und es besteht kein zulänglicher Grund, weshalb es sich nicht
stets im Horizont der christlichen Religion und des Sozialismus (Punkt 4) ab-
spielen sollte. Anders ausgedrückt: in dem Maße, in dem der Adept des primä-
ren Humanismus an ein stoffliches Substrat, an die mühsame Vermittlung der
alten Sprachen gebunden ist, in diesem Maße hat er die Pflicht, das in diesem
Substrat schlummernde Potential jeweils voll zu aktualisieren (er ist also inso-
weit Diener von Zwecken, die außerhalb seiner liegen) - er sollte sich nicht auf
eine bestimmte humanistische Dogmatik (z. B. auf die der Jaeger-Schule) fest-
legen; er sollte flexibler und liberaler sein und den Zugang zu allen Humanis-
men der Gegenwart, zum Humanismus schlechthin, zu erschließen suchen. Wie
ein Blick auf das Kernstück aller Humanismen, auf die Sorge um die Bestim-
mung des Menschen, zeigt, wird eine solche Kompetenzerweiterung durch die
Sache selbst nahegelegt.
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