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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 17.1974

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Nr. 2
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Kahlenberg, Käthe: Caesar oder Erasmus: Überlegungen zur lateinischen Lektüre am Gymnasium
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https://doi.org/10.11588/diglit.33068#0033

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schufen. Im 19. Jahrhundert ist Caesar wie Sallust, Tacitus, Horaz in die erste
Reihe der Schulschriftsteller getreten. Paßt diese Wahl auch für das 20.? Friedrich
Leo meinte, Caesars Werke seien nur von der großen Politik her verständlich;
Hartmut von Hentig (1966) (es werden nur einige der angeführten Beispiele
genannt) hält die Caesarlektüre für Schüler nicht adaequat. Vor dem 19. Jahr-
hundert zählten zu den Schulautoren Hygin, Phaedrus, Aurelius Viktor, Terenz,
später Cicero. Was bietet sich jetzt an Caesars Stelle als Originallektüre und
nicht zu schwieriger Text an? Die Vulgata, mittelalterliche Geschichtsquellen
z. B. Einhard, Vita Caroli Magni, Helmold, Slavenchronik, Saxo Grammaticus,
Gesta Danorum (Auswahl interessanter Partien).
Von den antiken Schriftstellern käme auch heute Terenz in Betracht, statt
Kriegsgeschehen bietet er amor et gaudium! Bei der Lektüre der mittelalterlichen
Autoren fehlt das Verständnis für diese Epoche und seine christliche Ausrich-
tung. (Anm. der Berichterstatterin, Berlin betreffend: der altsprachliche Unter-
richt fände heute kaum eine Unterstützung oder Vorbereitung durch den Ge-
schichts- oder Deutschunterricht; die Behandlung des Mittelalters ist im allge-
meinen lückenhaft und einseitig.) Außerdem wird von den meisten Altphilo-
logen das mittelalterliche Latein für die Schullektüre abgelehnt.
Aus diesem Dilemma kann die Literatur der Humanisten einen Weg weisen.
Da diese Gelehrten bestrebt waren, das ciceronianische Latein zu pflegen, haben
sie Einführungsschriften verfaßt, die gleichzeitig jugendlichen Interessen ent-
gegenkommen. Das Latein sollte keine Sondersprache sein, vielmehr eine Spra-
che, in der man sich unterhalten kann. So spielen Dialoge, die das Schülerleben
betreffen, und Komödien eine große Rolle. Einige Literaturbeispiele, die Prof.
Fuhrmann vorschlug, seien angeführt: Apophthegmata des Enea Silvio Picolo-
mini, die Facetiae des Poggio, auch seine Briefe, Frischlin, Schulkomödien, Eras-
mus, Enkomion Moriae und die Colloquia, die Declamationes des Melanchthon
(jeweils ausgewählte Stücke, lesbar etwa Ende des 2. oder nach dem 2. Latein-
jahr).
Ernst Robert Curtius gibt in seiner „Europäischen Literaturgeschichte und das
lateinische Mittelalter“ ein Verzeichnis „musterhafter Lektüre“, das vom Alter-
tum bis zum 18. Jahrhundert führt. Das Reduzieren der lateinischen Literatur
ist im 19. Jahrhundert eingetreten in der Periode des Neuhumanismus, der die
Lektüre der Werke auf die Spanne Plautus bis Tacitus begrenzt, und die aus-
gewählten Autoren sind die schwierigsten. Die Begrenzung ist bedingt durch die
oben erwähnte geistige Einstellung und durch die Verkürzung des altsprach-
lichen Unterrichts. Jedoch der Klassizismus fasziniert heute keinen Schüler
mehr: die Distanzverhältnisse haben sich verschoben, der altsprachliche Unter-
richt ist nicht mehr Mittelpunkt, sondern Zubehör. Die Aspekte sind daher zu
erweitern, auch die Geschichte der Rezeption ist einzubeziehen. Man sollte dem
Latein seine ursprüngliche Aufgabe wiedergeben und sich fragen, ob nicht
der Lateinunterricht in die gesamte europäische Tradition einführen könne.
Die nachantike Latinität dürfe nicht nur „Forscherhobby“ sein, Schule und Uni-
versität müssen Zusammenarbeiten, Texte und lesbare Abhandlungen liefern.
Das bedeutet keinen Verrat an der Antike - im Gegenteil: die Humanisten woll-
ten die Antike der eigenen Gegenwart nutzbar machen.

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