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Rogge, Jörg [Bearb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Fürstin und Fürst: Familienbeziehungen und Handlungsmöglichkeiten von hochadeligen Frauen im Mittelalter ; [Referate, die vom 20. bis 23. März 2002 im Rahmen eines Symposiums mit dem Titel "Fürstin und Fürst. Rollenverständnis, Handlungsspielräume und Konfliktverhalten in den Geschlechterbeziehungen des hohen und fürstlichen Adels im Mittelalter und am Beginn der Frühen Neuzeit in europäischer Perspektive" im Erbacher Hof (Mainz) vorgetragen und diskutiert worden sind] — Mittelalter-Forschungen, Band 15: Ostfildern, 2004

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Nolte, Cordula,: der leib der hochst schatz – Zu fürstlicher Körperlichkeit, Gesunderhaltung und Lebenssicherung (1450-1550). Familien- und alltagsgeschichtliche Perspektiven
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Cordula Nolte

niergehabe und materieller Prunk«.4 Aus zivilisationstheoretischer Sicht legten mit-
telalterliche Adlige, genauer: adlige Männer, sich vergleichsweise wenig Zurück-
haltung auf, wenn sie ihre Impulse körperlich umsetzten.5 Selbst im 16. Jahrhundert
lebten sie in einer vermeintlich »noch ziemlich wilden Adelswelt«.6 Kritiker der
Eliasschen Theorie vom voranschreitenden Zivilisationsprozeß verwiesen demge-
genüber auf das hohe Maß an Selbstbeherrschung, das Adlige sich in bestimmten
Konstellationen abverlangten.7 Unter dem Aspekt von Gesundheit/Krankheit wie-
derum soll es sich nach philosophischer und ärztlicher Auffassung bei der adligen
Oberschicht von der Antike bis in die Vormoderne um eine zugleich besonders
begünstigte und gefährdete Gruppe gehandelt haben.8 Allen Sichtweisen gemein-
sam ist die Auffassung, daß adlige Lebensführung und die Ausformung spezifi-
scher Körper- und Geisteshaltungen Hand in Hand gingen.
Mein Beitrag widmet sich diesem Zusammenhang auf der Ebene alltäglicher
Verhaltensweisen im Familien verbünd. Zum Einstieg sei hier eine Nachricht über
das Eheleben eines Fürstenpaares wiedergegeben, die ein eher überraschendes
Schlaglicht auf adlige Körperszenarien wirft. Über die pommersche Herzogstochter
Katharina (t 1526) und Herzog Heinrich den Älteren von Braunschweig-Wolfenbüt-
tel (+1514), die 1486 heirateten und miteinander neun Kinder bekamen9 10, berichtet
der Geschichtsschreiber Thomas Kantzow: Diesse Hertzogin Catharina ist so gross
gewest, das Hertzog Heinrich ir kawm an die Axeln gereicht, und wie es ein zorniger Fürst
war, wan er bisweilen auff sie bewogen [ärgerlich, C. N.] was und sie vielleicht schlagen
wolte, hat sie ine in die Arme gefangen und so lange gehalten, das er müste Fried Zusagen;
sunst ists eine verstendige Fürstin, wie auch alle beide Schwestern von Mekelburgk, geioest,
und seint schone, lange wolerwaschen Hern von ir erzeuget, darunter Christoffer, der Ertzbi-
schoff von Bremen, wol zehen gemeiner Scho lang istw Diese kurzen Zeilen transportie-

4 Joachim Bumke, Höfischer Körper - Höfische Kultur, in: Modernes Mittelalter. Neue Bilder
einer populären Epoche, hg. von Joachim Heinzle, Leipzig 1994, S. 67-102, hier S. 96.
5 Michael Schröter, Zur Lntimisierung der Hochzeitsnacht im 16. Jahrhundert. Eine zivilisations-
theoretische Studie, in: Ordnung und Lust. Bilder von Liebe, Ehe und Sexualität in Spätmittelalter
und Früher Neuzeit, hg. von Hans-Jürgen Bachorski (LIR. Literatur-Imagination-Realität. Angli-
stische, germanistische, romanistische Studien 1), Trier 1991, S. 359-414, hier S. 382, S. 386, S. 397ff.
6 Schröter, lntimisierung (wie Anm. 5), S. 398.
7 Vgl. unten, Anm. 242, zu Gerd Schwerhoffs Studie »Zivilisationsprozeß und Geschichtswissen-
schaft«.
8 Friedrich Kümmel, De Morbis Aulicis: On Diseases Found at Court, in: Medicine at the Courts
of Europe, 1500-1837, ed. by Vivian Nutton (The Wellcome Institute Series in the History of
Medicine), London/New York 1990, S. 15-48.
9 Vgl. die Angaben zu Eltern und Kindern bei Rainer Täubrich, Herzog Heinrich der Jüngere von
Braunschweig-Wolfenbüttel (1489-1568). Leben und Politik bis zum Primogeniturvertrag von 1535
(Quellen und Forschungen zur braunschweigischen Geschichte 29), Braunschweig 1991, S. 26.
10 Des Thomas Kantzow Chronik von Pommern in hochdeutscher Mundart. Letzte Bearbeitung,
hg. von Georg Gaebel, Stettin 1897, S. 340. Diese Fassung stammt aus den späten 1530er Jah-
ren. Nach der ausgeschmückteren Fassung von 1540/42 war Katharina so herrlich eine domina
von Person, daß sie fast doppelt so groß wie der kleingewachsene Heinrich war. Pomerania. Eine
pommersche Chronik aus dem sechzehnten Jahrhundert, hg. von Georg Gaebel, Stettin 1908,
S. 42. Zu Kantzows Zuverlässigkeit, zu den verschiedenen Fassungen seiner Chronik und zur
Identifizierung der »Pomerania« als insgesamt vierte Bearbeitung Jürgen Petersohn, Die
dritte hochdeutsche Fassung von Kantzows Pommerscher Chronik. Identifikation eines ver-
kannten Geschichtswerks, in: Baltische Studien, NF 59,1973, S. 27-41.
 
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