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Rogge, Jörg [Bearb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Fürstin und Fürst: Familienbeziehungen und Handlungsmöglichkeiten von hochadeligen Frauen im Mittelalter ; [Referate, die vom 20. bis 23. März 2002 im Rahmen eines Symposiums mit dem Titel "Fürstin und Fürst. Rollenverständnis, Handlungsspielräume und Konfliktverhalten in den Geschlechterbeziehungen des hohen und fürstlichen Adels im Mittelalter und am Beginn der Frühen Neuzeit in europäischer Perspektive" im Erbacher Hof (Mainz) vorgetragen und diskutiert worden sind] — Mittelalter-Forschungen, Band 15: Ostfildern, 2004

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Elpers, Bettina,: Während sie die Markgrafschaft leitete, erzog sie ihren kleinen Sohn. Mütterliche Regentschaften als Phänomen adliger Herrschaftspraxis
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https://doi.org/10.11588/diglit.34729#0173

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Bettina Elpers

Die detailreiche, aber in der Begründung der Entfremdung ungenaue Schilde-
rung der Chronik weist darauf hin, dass Jutta und Ludwig unterschiedliche Vor-
stellungen über die Ausübung der Vormundschaft hatten. Dass Regentschaft und
Vormundschaft sich nicht klar voneinander abgrenzen ließen, ließ interpretatori-
schen Spielraum. Dies gilt vor allem für das Wesen der Regentschaft, das durch con-
suetudo gestaltet war. Aber auch bezüglich der tut ela waren bei der Rezeption des
römischen Rechtes weniger die genauen Vorstellungen und Rechtsfiguren als viel-
mehr einzelne Termini eingedrungen. In ihrem Gewohnheitsrecht mütterlicher
Regentschaft sah die Markgräfin sich offensichtlich durch die intensive Präsenz
ihres Bruders in der Mark gefährdet. Ihre Vorstellungen fanden jedoch keinen Ein-
gang in die Geschichtsschreibung. Hingegen kann man annehmen, dass der Kaplan
am Landgrafenhof an der verschriftlichten Begrifflichkeit des römischen Rechtes
geschult war und diese bei der Niederschrift verwendete. Doch war das römische
Recht in dieser Zeit eben nicht als solches in seiner Intention rezipiert worden, son-
dern einzelne Begriffe, die in der Chronik zwar deutlich hervorgehoben, aber
bezeichnenderweise nicht klar definiert wurden. Es könnte also durchaus sein, dass
Jutta eine andere Vorstellung über die Aufgaben sowohl ihrer Regentschaft wie über
die eines Vormundes hatte, die uns nicht überliefert sind. Nach Beendigung der
Auseinandersetzung im Jahr 1223 agierten Mutter, Sohn, Vormund und der zweite
Gemahl Juttas in verschiedenen Konstellationen einträchtig miteinander.
Vor der Folie der vorgestellten Ergebnisse, möchte ich abschließend nochmals
auf die heilige Elisabeth zurückkommen. Diese hatte und hat noch heute ihren
Bekanntheitsgrad der Tatsache zu verdanken, dass sie »anders« war und dafür hei-
lig gesprochen wurde. Gerade dies bedeutete aber auch, dass ihre Handlungsweise
als adlige Mutter und Fürstin nicht den Erwartungen ihrer Zeit entsprach. Elisa-
beths Verhalten zeigt in diesem Zusammenhang vor allem eines: Wie sehr eine Frau
aus dem adligen Aufgabenfeld herausgetreten sein musste, um sich einer mütterli-
chen Regentschaft zu entziehen. Am Beispiel der untersuchten mütterlichen
Regentschaften konnte man feststellen, dass theologische Vorstellungen über die
Schwäche der Frau, die über ihre Geschlechtszugehörigkeit definiert waren, im
Kontext adliger Herrschaft gegenüber hausherrschaftlichen Rechtsvorstellungen
vollständig zurücktraten. Die Frage nach spezifisch weiblichen Herrschaftsformen
lässt sich am Quellenmaterial kaum und nur spekulativ beantworten. In der
Geschichtsschreibung und Urkundenpraxis kommen keine entsprechenden Überle-
gungen zum Ausdruck. Auffällig ist jedoch die Betonung der Mutterrolle, verstärkt
um die Jahrhundertwende vom 12. zum 13. Jahrhundert. Der Dreisprung von
Regieren, Erziehen, Bewahren wiederholte sich und wurde immer bedeutsamer auf
die Mutter bezogen. Als wesentlicher Bestandteil der Befähigung der Witwen lässt
sich ihre Herkunft und die daraus resultierende Einbindung in den adligen Ver-
wandtschaftsverband kenntlich machen. Fürstinnen waren als Töchter, Ehefrauen
und Mütter integraler Bestandteil des Verwandtschaftsverbandes und der adligen
Herrschaftspraxis. Adlige Herrschaft blieb immer auf die weiblichen Angehörigen
ihres Hauses angewiesen. Formen der Herrschaftsbeteiligung adliger Frauen als
Teil der mittelalterlichen Verfassungswirklichkeit aufzuzeigen und damit in die Ver-
fassungsgeschichte zu integrieren, bleibt damit ein zukunftsträchtiges Aufgaben-
feld.
 
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