A) Einleitung
A) 1) Gegenstand und Fragestellung
Als der Mönch Othloh von Sankt Emmeram 1062/66 in Fulda eine neue Fassung der
Bonifatius-Vita niederschrieb, orientierte er sich weitgehend an der kurz nach dem Tod
des angelsächsischen Missionars verfassten Vita aus der Feder des Willibald von Mainz.
In einer Passage aber ergänzt Othloh seine Vorlage, als er auf die Briefe des Bonifatius
zu sprechen kommt: z'Has, szzae popMios, z'd esi Angios, iransmis;!, preler-
uoiMfHMS, ne Vyenl?l?MS itVAm cozz/e?Te uz'&ozMM?' CM?M Az'enz's, znavzine CM/n noEz's
SM//i'cMni nosfm. Noslra aMiezn dz'co, pzu palnTMS nosin's, Ge?inan?'s scz'Ecel, saluaneüs
scn'psz'i uei A? MÜo scn'pA recepz'l (Cap. I, 44)1 Othloh übergeht also bewusst die Briefe, die
Bonifatius an sein Volk, die Angl?', geschrieben hatte, denn er möchte seine Feser nicht
mit fremden Sachverhalten belasten, da ihm und seinen Rezipienten die eigenen Belan-
ge bei weitem genügen. Der Mönch fügt der Begründung, warum er nicht auf diese
Briefe eingeht, eine Definition dessen an, was er als die eigenen Angelegenheiten ver-
steht: Sie sind nach Othloh den Briefen zu entnehmen, die Bonifatius zum Heil unserer
Väter geschrieben oder von diesen empfangen habe, nämlich von den Ger?Manz'.
Der Fuldaer Hagiograph zieht also kurz vor der normannischen Eroberung Eng-
lands eine klare Trennlinie zwischen den Unsrigen und den Fremden, den GezizMm und
den AngE, die er als zwei unterschiedliche Völker versteht. Die gentile und zugleich
räumliche Zuordnung ist entscheidend dafür, ob Othloh deren Belange für berichtens-
und überheferungswert hält: Die eigenen Angelegenheiten würden genügen, mit frem-
den Dingen müsse man sich nicht auch noch belasten. Die Verbindungen des Bonifatius
in seine Heimat besaßen und besitzen aus der Sicht Othlohs keinen Einfluss auf die
Entwicklungen in der Ger??MMM. Gar eine Geschichte der Begegnungen und Kontakte,
der Bezüge und Beziehungen zwischen den Geziem und den Angl? zu schreiben, das
wäre Othloh gewiss nicht in den Sinn gekommen ...
Trotz des plakativ geäußerten Desinteresses Othlohs sollen im Folgenden Begeg-
nungen zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und England von der Mitte des
9. Jahrhunderts bis ins späte 11. Jahrhundert untersucht werden, die daran beteiligten
Personen, die wechselseitigen Vorannahmen, Erwartungen und Wahrnehmungen so-
wie die Erinnerung an die Kontakte, vor allem aber die argumentative Nutzung der
Beziehungen und die Wirkung der Begegnungen auf umfassendere Vergemeinschaf-
tungsformen. Dabei sollen sämtliche Ebenen der Verbindungen in den Blick genommen
und möglichst alle für diesen Zeitraum überlieferten Kontakte festgehalten und inter-
pretiert werden. Ausgegangen wird dabei von den Begegnungen, also von den Akteu-
ren, den Zusammentreffen, den Transfers und den Erinnerungen an die Kontakte. Von
besonderer Bedeutung bei der Analyse sind die Konstellation und damit das spezifi-
sche Verhältnis zwischen zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und England im
1 OAM? po;z Sa;?A Emmeram, VA? Bcrni/ah';' VI, S. 157.
A) 1) Gegenstand und Fragestellung
Als der Mönch Othloh von Sankt Emmeram 1062/66 in Fulda eine neue Fassung der
Bonifatius-Vita niederschrieb, orientierte er sich weitgehend an der kurz nach dem Tod
des angelsächsischen Missionars verfassten Vita aus der Feder des Willibald von Mainz.
In einer Passage aber ergänzt Othloh seine Vorlage, als er auf die Briefe des Bonifatius
zu sprechen kommt: z'Has, szzae popMios, z'd esi Angios, iransmis;!, preler-
uoiMfHMS, ne Vyenl?l?MS itVAm cozz/e?Te uz'&ozMM?' CM?M Az'enz's, znavzine CM/n noEz's
SM//i'cMni nosfm. Noslra aMiezn dz'co, pzu palnTMS nosin's, Ge?inan?'s scz'Ecel, saluaneüs
scn'psz'i uei A? MÜo scn'pA recepz'l (Cap. I, 44)1 Othloh übergeht also bewusst die Briefe, die
Bonifatius an sein Volk, die Angl?', geschrieben hatte, denn er möchte seine Feser nicht
mit fremden Sachverhalten belasten, da ihm und seinen Rezipienten die eigenen Belan-
ge bei weitem genügen. Der Mönch fügt der Begründung, warum er nicht auf diese
Briefe eingeht, eine Definition dessen an, was er als die eigenen Angelegenheiten ver-
steht: Sie sind nach Othloh den Briefen zu entnehmen, die Bonifatius zum Heil unserer
Väter geschrieben oder von diesen empfangen habe, nämlich von den Ger?Manz'.
Der Fuldaer Hagiograph zieht also kurz vor der normannischen Eroberung Eng-
lands eine klare Trennlinie zwischen den Unsrigen und den Fremden, den GezizMm und
den AngE, die er als zwei unterschiedliche Völker versteht. Die gentile und zugleich
räumliche Zuordnung ist entscheidend dafür, ob Othloh deren Belange für berichtens-
und überheferungswert hält: Die eigenen Angelegenheiten würden genügen, mit frem-
den Dingen müsse man sich nicht auch noch belasten. Die Verbindungen des Bonifatius
in seine Heimat besaßen und besitzen aus der Sicht Othlohs keinen Einfluss auf die
Entwicklungen in der Ger??MMM. Gar eine Geschichte der Begegnungen und Kontakte,
der Bezüge und Beziehungen zwischen den Geziem und den Angl? zu schreiben, das
wäre Othloh gewiss nicht in den Sinn gekommen ...
Trotz des plakativ geäußerten Desinteresses Othlohs sollen im Folgenden Begeg-
nungen zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und England von der Mitte des
9. Jahrhunderts bis ins späte 11. Jahrhundert untersucht werden, die daran beteiligten
Personen, die wechselseitigen Vorannahmen, Erwartungen und Wahrnehmungen so-
wie die Erinnerung an die Kontakte, vor allem aber die argumentative Nutzung der
Beziehungen und die Wirkung der Begegnungen auf umfassendere Vergemeinschaf-
tungsformen. Dabei sollen sämtliche Ebenen der Verbindungen in den Blick genommen
und möglichst alle für diesen Zeitraum überlieferten Kontakte festgehalten und inter-
pretiert werden. Ausgegangen wird dabei von den Begegnungen, also von den Akteu-
ren, den Zusammentreffen, den Transfers und den Erinnerungen an die Kontakte. Von
besonderer Bedeutung bei der Analyse sind die Konstellation und damit das spezifi-
sche Verhältnis zwischen zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und England im
1 OAM? po;z Sa;?A Emmeram, VA? Bcrni/ah';' VI, S. 157.