B) 2) Akteure
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fremden Königreichen zu leben hatten (Buch 1)/^ Die jungen Frauen mussten sich, so
der Verfasser weiter, von ihren Eltern und ihrer Familie für immer verabschieden und
sahen ihre Heimat nie wieder. Goscelin erwähnt unter anderem das Beispiel von Adela,
der Tochter des Herzogs von Flandern, die mit König Knut IV. verheiratet war, und be-
schreibt, wie die Ehefrauen mit barbarischen Gewohnheiten, unbekannten Sprachen,
harten Herren und unnatürlichen Gesetzen konfrontiert warenA"
Frauen, die aufgrund einer Heiratsverbindung nach England oder ins das ostfrän-
kisch-deutsche Reich geschickt wurden, sind unterhalb der königlichen Ebene erst für
die Mitte des 11. Jahrhunderts nachweisbar.^ Dies mag ein Problem der Aussagekraft
der frühmittelalterlichen Quellen darstellen, allerdings war es im 10. Jahrhundert ge-
wiss noch selten, dass man unterhalb der Stufe königlicher oder hochadeliger Akteure
den Aufwand auf sich nahm, entweder eine Tochter in einen Herrschaftsraum zu ver-
heiraten, der nicht in der Nachbarschaft lag, oder um eine solche Ehefrau für die eige-
nen Nachkommen zu werben. Eine Ausnahme stellten lediglich unverheiratete Famili-
enmitglieder von hohen Klerikern dar, wie zwei Beispiele belegen: Der Londoner
Bischof Theodred, der wahrscheinlich aus dem ostfränkisch-deutschen Reich stammte,
verfügte in seinem zwischen 942 und seinem Tod 951/953 aufgezeichneten Testament,
dass ein Teil seines Vermögens an Osgod und Otta, die Söhne seiner Schwester, gehen
sollte/^ Die Namen der Neffen Theodreds könnten darauf hindeuten, dass seine
Schwester mit einem dänischen Mann wohl aus East Anglia verheiratet war. Für Eva
(etwa 1058-1120), eine Nonne in Wilton und spätere Inklusin, ist durch das Zeugnis
Goscelins belegt, dass ihre Mutter aus Lothringen stammte und ihr Vater Däne war.^
Goscelin war von ihrem Onkel, dem aus Lothringen stammenden Bischof Hermann
von Ramsbury und Sherborne (1045-1078), mit der Erziehung Evas beauftragt worden;
der Bischof hatte also seine Schwester mit nach England genommen, wo sie einen Dä-
nen geheiratet hatteA" Mit Bezug auf Evas Lebenssituation als auf dem Kontinent leben-
de Inkluse entwarf Goscelin in seinem ihr gewidmeten Werk >Liber confortatorius< eine
Beziehungssemantik zweier Grenzgänger, allerdings stand dabei die aktuelle Situation
der beiden deutlich stärker im Vordergrund als die Abstammung der Eltern/" Der Er-
zieher spricht Eva einmal als Fremde unter den Engländern an, in der gleichen Passage
aber als Engländerin von hoher Geburt; der Autor bezieht sich also einmal auf die Her-
kunft von Evas Eltern, das andere Mal auf den Ort von Evas Geburt und ihrer Jugend
(Buch I)/"
535 Vgl. Goscdm, D'Nr co?!/brMorms, S. 41. Zum Verfasser vgl. Kap. B.2.f.
536 Zur Verheiratung als Exil vgl. Shergold, Joseph, S. 66-67.
537 Zu Heiraten auf Königsebene vgl. Kap. C.3.c.
538 Vgl. die Edition des Testaments (Saan/cr, Nr. 1526) bei B;'rd;, Nr. 1008, Co:u;c;ls a;;4 Si/ao&s, 1,1,
Nr. 21, und Aigio-Saxo;; Wrifs, Nr. 1, sowie zuletzt bei Kelly, Introduction S. Paul's, S. 225-226.
Zu Bischof Theodred vgl. Kap. B.2.h.
539 So schreibt Goscelin: pafre Da;;o et /aairc Eofarmga (Buch I), vgl. Gosceh'a, E;Bcr co?!/brMorms,
S.41.
540 Zu Hilarius von Orleans, der Evas Eltern Api und Olivia nennt, und zu weiteren kontinentalen
Quellen zu Evas Leben, die alle im frühen 12. Jahrhundert in Frankreich verfasst wurden, vgl.
Hollis, Introduction, S. 229-230. Zu Bischof Hermann vgl. Kap. B.2.h.
541 Vgl. dazu umfassend Kap. B.3.b.
542 Vgl. Gosceh'a, Dher co?!/brMorms, S. 41.
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fremden Königreichen zu leben hatten (Buch 1)/^ Die jungen Frauen mussten sich, so
der Verfasser weiter, von ihren Eltern und ihrer Familie für immer verabschieden und
sahen ihre Heimat nie wieder. Goscelin erwähnt unter anderem das Beispiel von Adela,
der Tochter des Herzogs von Flandern, die mit König Knut IV. verheiratet war, und be-
schreibt, wie die Ehefrauen mit barbarischen Gewohnheiten, unbekannten Sprachen,
harten Herren und unnatürlichen Gesetzen konfrontiert warenA"
Frauen, die aufgrund einer Heiratsverbindung nach England oder ins das ostfrän-
kisch-deutsche Reich geschickt wurden, sind unterhalb der königlichen Ebene erst für
die Mitte des 11. Jahrhunderts nachweisbar.^ Dies mag ein Problem der Aussagekraft
der frühmittelalterlichen Quellen darstellen, allerdings war es im 10. Jahrhundert ge-
wiss noch selten, dass man unterhalb der Stufe königlicher oder hochadeliger Akteure
den Aufwand auf sich nahm, entweder eine Tochter in einen Herrschaftsraum zu ver-
heiraten, der nicht in der Nachbarschaft lag, oder um eine solche Ehefrau für die eige-
nen Nachkommen zu werben. Eine Ausnahme stellten lediglich unverheiratete Famili-
enmitglieder von hohen Klerikern dar, wie zwei Beispiele belegen: Der Londoner
Bischof Theodred, der wahrscheinlich aus dem ostfränkisch-deutschen Reich stammte,
verfügte in seinem zwischen 942 und seinem Tod 951/953 aufgezeichneten Testament,
dass ein Teil seines Vermögens an Osgod und Otta, die Söhne seiner Schwester, gehen
sollte/^ Die Namen der Neffen Theodreds könnten darauf hindeuten, dass seine
Schwester mit einem dänischen Mann wohl aus East Anglia verheiratet war. Für Eva
(etwa 1058-1120), eine Nonne in Wilton und spätere Inklusin, ist durch das Zeugnis
Goscelins belegt, dass ihre Mutter aus Lothringen stammte und ihr Vater Däne war.^
Goscelin war von ihrem Onkel, dem aus Lothringen stammenden Bischof Hermann
von Ramsbury und Sherborne (1045-1078), mit der Erziehung Evas beauftragt worden;
der Bischof hatte also seine Schwester mit nach England genommen, wo sie einen Dä-
nen geheiratet hatteA" Mit Bezug auf Evas Lebenssituation als auf dem Kontinent leben-
de Inkluse entwarf Goscelin in seinem ihr gewidmeten Werk >Liber confortatorius< eine
Beziehungssemantik zweier Grenzgänger, allerdings stand dabei die aktuelle Situation
der beiden deutlich stärker im Vordergrund als die Abstammung der Eltern/" Der Er-
zieher spricht Eva einmal als Fremde unter den Engländern an, in der gleichen Passage
aber als Engländerin von hoher Geburt; der Autor bezieht sich also einmal auf die Her-
kunft von Evas Eltern, das andere Mal auf den Ort von Evas Geburt und ihrer Jugend
(Buch I)/"
535 Vgl. Goscdm, D'Nr co?!/brMorms, S. 41. Zum Verfasser vgl. Kap. B.2.f.
536 Zur Verheiratung als Exil vgl. Shergold, Joseph, S. 66-67.
537 Zu Heiraten auf Königsebene vgl. Kap. C.3.c.
538 Vgl. die Edition des Testaments (Saan/cr, Nr. 1526) bei B;'rd;, Nr. 1008, Co:u;c;ls a;;4 Si/ao&s, 1,1,
Nr. 21, und Aigio-Saxo;; Wrifs, Nr. 1, sowie zuletzt bei Kelly, Introduction S. Paul's, S. 225-226.
Zu Bischof Theodred vgl. Kap. B.2.h.
539 So schreibt Goscelin: pafre Da;;o et /aairc Eofarmga (Buch I), vgl. Gosceh'a, E;Bcr co?!/brMorms,
S.41.
540 Zu Hilarius von Orleans, der Evas Eltern Api und Olivia nennt, und zu weiteren kontinentalen
Quellen zu Evas Leben, die alle im frühen 12. Jahrhundert in Frankreich verfasst wurden, vgl.
Hollis, Introduction, S. 229-230. Zu Bischof Hermann vgl. Kap. B.2.h.
541 Vgl. dazu umfassend Kap. B.3.b.
542 Vgl. Gosceh'a, Dher co?!/brMorms, S. 41.