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Gramsch, Robert; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Das Reich als Netzwerk der Fürsten: politische Strukturen unter dem Doppelkönigtum Friedrichs II. und Heinrichs (VII.) 1225 - 1235 — Mittelalter-Forschungen, Band 40: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34756#0025

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1. Politische Verflechtungen im spätstaufischen Reich

Ekkehards von Meißen. Dessen Versuch, sich auf einer Versammlung der sächsischen
Großen handstreichartig zum neuen König wählen zu lassen, war nach Thietmar zu-
nächst am Widerstand des Markgrafen Liuthar von der Nordmark, eines Onkels von
Thietmar, gescheitert.^ Liuthar verbündete sich nun mit dem späteren König Heinrich:
„Inzwischen reiste meines Vaters Bruder mit seinem Oheim Rikbert, den der Kaiser
seiner Grafenwürde entsetzt hatte - er hatte sie an Liudger, einen Ritter Bischof Arnulfs
verliehen - heimlich nach Bamberg, gewann des Herzogs Gunst und die Aussicht auf
Rückgabe und Vergrößerung seines Lehens, (...); sein Neffe Heinrich (von Schweinfurt)
half ihm dabei.Auf Liuthars Rat sandte Heinrich von Bayern schleunigst Boten zur
sächsischen Wahlversammlung nach Werla, welche die Lürstenmehrheit dazu bewegen
konnten, sich auf Heinrich als neuen König festzulegen. Doch Ekkehard, unterstützt von
Herzog Bernhard von Sachsen und Bischof Arnulf von Halberstadt, gab noch nicht auf.
„Er verabschiedete sich also am folgenden Tage von seinen Freunden, merkte sich seine
Feinde genau („Saüdah's posfcm üiiwicistyME c%iüc noMzs") und ritt mit
Bischof Bernward nach Hildesheim, wo er als König empfangen und geehrt wurde.
Thietmar geht, wie man sieht, im Entwerfen einer personellen Konstellation recht
gründlich vor - sehr viel gründlicher, als es Chronisten gemeinhin zu tun pflegen.^ Er
nennt eine Anzahl Akteure namentlich und gibt durch die Schilderung ihrer verwandt-
schaftlichen Verhältnisse beziehungsweise ihrer Handlungen präzise Hinweise, wie das
affektive Verhältnis zwischen diesen Akteuren - Freundschaft oder Feindschaft - in der
konkreten Situation beschaffen ist.
Mit den Begriffen des Akteurs und der affektiven Beziehungen^ sind die Grund-
bausteine jedes sozialen Netzwerkes schon benannt:^ Elemente eines Netzwerkes sind
Personen (Akteure), die durch Relationen, das sind soziale Beziehungen verschiedenster
Natur, verbunden sind. An den Akteuren interessieren mithin nicht nur ihre individuel-
len Eigenschaften (sogenannte absolute Merkmale), sondern vor allem ihre Verbindungen
42 TC IV/52. Zur Feindschaft Ekkehards und Liuthars aufgrund der einseitigen Aufsagung einer
bereits getroffenen Eheverabredung für ihre Kinder durch Ekkehard vgl. TC IV /39-42; dazu
EDUARD HLAWiTSCHKA, „Merkst Du nicht, daß Dir das vierte Rad am Wagen fehlt?" Zur
Thronkandidatur Ekkehards von Meißen (1002) nach Thietmar, Chronicon IV c. 52, in: KARL
HAUCR / HUBERT MoRDEK (Hgg.), Geschichtsschreibung und geistiges Leben im Mittelalter.
Festschrift für Heinz Löwe zum 65. Geburtstag, Köln / Wien 1978, S. 281-311.
43 TC V/3 (in der Übersetzung von W. Trillmich).
44 TC V/4.
43 Zu beachten ist etwa Thietmars Schilderung von Ekkehards Provokation in Werla, wo er zur
Indignation der Schwestern Ottos III. und der übrigen Anwesenden gemeinsam mit Herzog
Bernhard und Bischof Arnulf tafelt (TC V/4). Ein weniger an den Details der personellen Kon-
stellation interessierter Autor hätte sich mit der Angabe, Ekkehard habe mit seinen Freunden
gezecht, begnügt. Natürlich finden sich solche summarischen Angaben auch bei Thietmar,
etwa im letzten Satz des obigen Zitats, aber er nennt doch hier wie andernorts bemerkenswert
häufig Details zu Beteiligten, die für das Verständnis der geschilderten Handlung an sich
überflüssig sind.
46 „Affektive Beziehung" ist hier selbstverständlich nur im funktionalen, nicht im emotionalen
Sinne zu verstehen, was der mittelalterlichen Mentalität sehr wohl entspricht. Zum vormo-
dernen Verständnis von „Freundschaft" als einem Nützlichkeitsprinzip vgl. etwa REINHARD,
Freunde und Kreaturen, S. 37f.; GARNIER, Amicus amicis, S. 4-8, und nunmehr auch KLAUS
OscHEMA, Freundschaft und Nähe im spätmittelalterlichen Burgund. Studien zum Span-
nungsfeld von Emotion und Institution (Norm und Struktur, 26), Köln / Weimar / Wien
2006.
42 Vgl. zum folgenden die Definitionen und weiterführende Erörterungen bei JANSEN, Netzwerk-
analyse, S. 51-66 sowie 91-99.
 
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