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Gramsch, Robert; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Das Reich als Netzwerk der Fürsten: politische Strukturen unter dem Doppelkönigtum Friedrichs II. und Heinrichs (VII.) 1225 - 1235 — Mittelalter-Forschungen, Band 40: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34756#0033

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1. Politische Verflechtungen im spätstaufischen Reich

mentale Nähe wie auch anderweitige Manifestationen von selbst zu erkennen geben
können. Doch wäre es ein Trugschluss, zu glauben, cliquenartige Personengruppen böten
immer ein in den Quellen offen zutage liegendes oder intuitiv zu erfassendes Erschei-
nungsbild. Es steht vielmehr zu vermuten, dass auch dort, wo wir nur Strukturlosigkeit,
„weißes Rauschen", zusammenhanglose Quellennachrichten zu sehen vermeinen, den
sozialen Phänomenen häufig genug eine komplexere Verflechtungsstruktur unterlegt
ist, die sich mit analytischen Verfahren zum Erscheinen bringen lässt.^ Gerade dieser
Aufgabe stellt sich die folgende Untersuchung. Dass diese Struktur, einmal identifiziert,
dann womöglich doch wieder als recht offensichtlich oder auch als in den Quellen nach-
weisbar erscheint, mindert den großen Erkenntniswert der vorangegangenen Analyse
nicht im geringsten. Im Gegenteil - der Forscher wird äußerst dankbar dafür sein, wenn
die auf abstrakt-mathematischem Wege identifizierten Netzwerkstrukturen ihre Realität
auch in den Quellen offenbaren.
Komplexe soziale Verflechtungsstrukturen besitzen eine eigene Situationslogik, wel-
cher auch jene Akteure, die diese Strukturen selbst nicht bewusst wahrnehmen, in ihrem
Handeln unterworfen sind (wenn auch natürlich nicht in eindeutig-zwingender Weise).
Umgekehrt können Akteure durch ein strategisches EnAo/U/üeren dieser Zusammen-
hänge die sie umgebenden Netzwerkstrukturen bestenfalls etwas zu eigenen Gunsten
beeinflussen (nefworEmg)/^ nicht aber grundsätzlich unterlaufen. Dies ist dadurch be-
gründet, dass man die eigene Position in einem Verflechtungszusammenhang keinesfalls
willkürlich ändern kann, sondern dass dies immer nur unter Berücksichtigung schon
bestehender Bindungen (und Abstoßungen) geschieht und häufig einen Ressourcen-
einsatz erfordert, welcher höher ist, als der Nutzen, der sich aus dem Knüpfen neuer
Beziehungen ergibt.
Diese Beobachtung lenkt uns auf einen im Grunde selbstverständlichen Punkt,
der im Rahmen des hier kurz skizzierten netzwerktheoretischen Modells menschlichen
Handelns zuletzt noch zur Sprache gebracht werden muss: die Rolle von Ressourcen
in Netzwerken. Ein jedes Netzwerk kann grundsätzlich als Tauschnetzwerk verstanden
werden, der Tausch von materiellen und immateriellen Ressourcen aller Art bildet
den konstitutiven Inhalt und die Daseinsbedingung aller Arten von Netzwerken/^
Kommunikationsformen im Mittelalter. Akten des 12. Symposiums des Mediävistenverbandes
vom 19.-22. März 2007 in Trier, Berlin 2009, S. 176-188 sowie nunmehr DERS., Erfurt - Die
älteste Hochschule Deutschlands. Vom Generalstudium zur Universität (Schriften des Vereins
für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt, 9), Erfurt 2012.
^ Siehe dazu etwa die Soziogramme des Heiratsnetzwerkes des deutschen Hochadels im
13. Jahrhunderts in: ROBERT GRAMSCH, Politische als soziale Grenzen? „Nationale" und „trans-
nationale" Heiratsnetze des deutschen Hochadels im Hochmittelalter, in: NiLS Bocx / GEORG
JosTKLEiGREWE / BASTIAN WALTER (Hgg.), Faktum und Konstrukt. Politische Grenzen im
europäischen Mittelalter. Verdichtung - Symbolisierung - Reflexion (Symbolische Kommu-
nikation und gesellschaftliche Wertesysteme, 35), Münster 2011, S. 27-42, hier: S. 32f. Ich
beabsichtige, an anderer Stehe eine ausführlichere Interpretation dieses netzwerkanalytischen
Befundes vorzulegen. Ein faszinierendes, auch für den Historiker interessantes Beispiel aus
der Ethnographie liefert die Analyse der Besuchsgepflogenheiten bei Familienfesten (sUmeüm)
in einem javanischen Weiler, in denen eine untergründige Sozialstruktur zutage tritt, die nicht
einfach auf z.B. Verwandtschafts-, Nachbarschafts- und religiöse Verhältnisse zurückgeführt
werden kann. Vgl. SCHWEIZER, Muster sozialer Ordnung, S. 83-108 und die Farbtafeln 3.3.
und 3.4. ebenda, die den überraschenden Befund eindrucksvoll visualisieren.
Ein nahe hegendes Beispiel ist die adlige Heiratspolitik, aber auch die Diplomatie.
Dies hegt für viele Netzwerke - Handelsnetzwerke, Heiratsnetzwerke, politische Netzwerke -
auf der Hand und gilt selbst in weniger offensichtlichen Fähen wie etwa den uehtwA comnuun-
 
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