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Gramsch, Robert; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Das Reich als Netzwerk der Fürsten: politische Strukturen unter dem Doppelkönigtum Friedrichs II. und Heinrichs (VII.) 1225 - 1235 — Mittelalter-Forschungen, Band 40: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34756#0068

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1.3. Gegenstand und Vorgehensweise dieser Untersuchung

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zwar bis 1235 immerhin 28mal genannt ist, aber immer nur in (fast durchweg positiver)
Relation zum Königtum oder gelegentlich auch zum Herzog von Bayern. Selbstverständ-
lich bilden diese Befunde die Stellung der Herzoge von Pommern oder des Augsburger
Bischofs im Beziehungsgeflecht ihrer Region nicht ab, aber darauf kommt es hier nicht
an. 166 in unserer übergeordneten Perspektive reduziert sich die Rolle solcher Akteure
(zu denen die Mehrzahl der Grafen gehört) auf die eines bloßen Klienten in einem
regionalen Mächtesystem. 167 Sie tragen zur Modellbildung nichts bei und bilden bloße
Erweiterungen jenes Clusters, denen ihr fürstlicher Patron angehört. 168
Nun kann bekanntlich auch das Handeln (ressourcen-) schwacher Akteure das Ver-
halten komplexer sozialer Systeme beeinflussen. Doch ist dies nur in einem bestimmten
Sinne der Fall: Ihr Handeln (etwa die Ermordung des österreichischen Thronfolgers durch
Gavrilo Princip 1914) mag AoUss zu bestimmten Systemänderungen sein, es ist aber nicht
deren Urs^c/te.^6^ Die Netzwerkanalyse, die auf tiefer liegende Strukturen zielt, kann
und muss dies nicht abbilden - sie kann aber dazu beitragen, zu erklären, warum kleine
Ursachen (also eigentlich Anlässe) zuweilen große Wirkungen hervorrufen können. 1^*
Bezogen auf das Modell des Netzwerkes Reich, bedeutet dies, dass minder mächtige Ak-
teure vernachlässigt werden können. Natürlich ist aber ihre Existenz bei der historischen
in Erscheinung tritt, sowie für den Herzog von Masowien, welcher - obwohl außerhalb des
Reichsverbandes stehend - aufgrund seiner Involvierung in die baltische und ostdeutsche
Politik partiell in der Datenbank dokumentiert worden ist. Zu den Herzogen von Pommern
vgl. nunmehr OLIVER AuGE, Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter. Der
südliche Ostseeraum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die frühe Reformationszeit
(Mittelalter-Forschungen, 28), Stuttgart 2009.
166 Eine solche Netzwerkanalyse auf der Ebene kleinerer räumlicher Einheiten wäre Gegenstand
der Landesgeschichte und es wäre zweifellos interessant, landesgeschichtliche Studien -
unter Berücksichtigung „kleinerer" Akteure - direkt an die hier vorgelegte Untersuchung
anzuschließen. Besonders zu prüfen wäre dabei, inwieweit reichsweite Klientelsysteme in
die Region hineinwirkten, und umgekehrt, welches Eigengewicht regionale Klientelsysteme
gewinnen konnten. Als bemerkenswerter Versuch in diese Richtung ist die netzwerkanalytische
Studie von HABERMANN, Verbündete Vasallen hervorzuheben.
167 Dies gilt zum Beispiel für die Grafen von Beichlingen, welche bis 1235 elfmal in der Datenbank
genannt sind, darunter mehrmals am Königshof, zweimal beim Landgrafen von Thüringen
und einmal noch beim Bischof von Bamberg (und zwar stets in positiven Bezügen). Vgl. zu
diesem Phänomen unselbständiger Akteure die Bemerkung bei SriEss, Hof, S. 57, hier bezogen
auf den Hoftagsbesuch: „Je weniger Macht und Einfluß ein Adelsgeschlecht besaß, desto
stärker reduzierten sich die Bezugspunkte. Das Zeugenprofil der Herren von Weikersheim
belegt beispielsweise eine einseitige Ausrichtung auf den Bischof von Würzburg."
168 In diesem Sinne auch MoRAW, Heiratsverhalten, S. 118: „Die weitaus meisten Fürsten, vor
allem die geistlichen, waren von anderen Fürsten abhängig und politisch fast belanglos."
169 Zum Kausalitätsprinzip in der Geschichte und zur Unterscheidung von Anlass, Ursachen,
„eigentlichen" Ursachen und dgl. vgl. nur etwa KARL-GEORG FABER, Theorie der Geschichts-
wissenschaft (BecKsche Schwarze Reihe, 78), 5. Aufl., München 1982, S. 66-88.
176 Dies gilt gerade für das hier nochmals zu bemühende Beispiel des Ausbruches des Ersten
Weltkrieges (dazu oben S. 44, Anm. 99): Wäre das politische System von 1914 nicht in vielerlei
Hinsicht fragil und belastet gewesen (dazu auch kurz FABER, ebda., S. 73f.), hätten sich
die Folgen des Attentates sehr eng begrenzen lassen. Die beschriebene Wirkungskette des
Konfliktausbruchs bildet somit ein klassisches Beispiel für einen „Schneeballeffekt", der nicht
nur im damaligen Staatensystem, sondern auch etwa in der Mentalität der Beteiligten seine
Ursache hatte. Ein Beispiel für die rechtzeitige Unterbindung eines politisch-militärischen
„Schneeballeffekts" - unter den der Lage von 1914 strukturell ähnlichen Bedingungen einer
Blockkonfrontation - bildet hingegen die „Kuba-Krise" von 1962, vgl. zu dieser nur etwa RoLF
SiEiNiNGER, Die Kubakrise 1962. Dreizehn Tage am atomaren Abgrund, München 2011.
 
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