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1. Politische Verflechtungen im spätstaufischen Reich
Interpretation der netzwerkanalytischen Befunde in konventioneller Weise mit im Blick
zu behalten'^ - etwa wenn ihr Handeln den Anlass zu Systemverschiebungen gegeben
hat.172
Die Grundsätze, nach denen historische Informationen in Verfiechtungsdaten über-
führt werden, bilden eine weitere zentrale Vorentscheidung über das Bild, das sich mittels
eines Netzwerkmodells von einem historischen Sachverhalt, hier also der Reichspolitik
gewinnen lässt. MissZRiyf dieser allein in der Hand des Bearbeiters liegende Übersetzungs-
vorgang, beziehungsweise lässt er sich nicht mit hinreichender Sicherheit durchführen,
da das Material allzu disparat und vieldeutig ist, wäre jede weitere Analyse zum Schei-
tern verurteilt. Nun kann wegen der immensen Materialfülle eine völlige Offenlegung
der Datenbasis hier nicht geschehen. Immerhin soll im Folgenden das Spektrum der
relevanten und signifikanten Relationen, welche bei der Datenerhebung berücksichtigt
wurden, im Allgemeinen vorgestellt werden.'^ Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf
der Frage, inwieweit es möglich ist, konkrete historische Sachverhalte regelgeleitet und
möglichst eindeutig in abstrakte Verflechtungstatbestände zu übersetzen.
Daran, dass die Verwandtschaft eine nicht nur sozial sondern auch politisch höchst
wichtige Relation war, ist entgegen aller Relativierungen durch die neuere Forschung
Der Verzicht, bestimmte Akteure ins Netzwerkmodell aufzunehmen, bedeutet keineswegs,
sie zu ignorieren. Sie tauchen vielmehr in indirekter Weise sowohl im Netzwerkmodell als
auch in der historischen Interpretation wieder auf. Das Reichskloster Lorsch z.B. stellte in
den 1220er Jahren keinen eigenständigen politischen Akteur mehr dar, der Streit um dasselbe
bildete aber einen zentralen Stein des Anstoßes im Verhältnis zwischen Mainz und der Pfalz
seit den 1230er Jahren und lässt sich somit als Ursache häufig konfliktischer Beziehungen
zwischen beiden benennen. Vgl. hierzu FRIEDRICH KNÖPP, Das letzte Jahrhundert der Abtei:
vom Ende des Investiturstreits bis zu den Auseinandersetzungen um die Selbständigkeit der
Abtei, in: DERS. (Hg.), Die Reichsabtei Lorsch. Festschrift zum Gedenken an ihre Stiftung 764,
1. Teil, Darmstadt 1973, S. 175-226, und STEFAN WEiNFURTER, Der Untergang des alten Lorsch
in spätstaufischer Zeit. Das Kloster an der Bergstraße im Spannungsfeld zwischen Papsttum,
Erzstift Mainz und Pfalzgrafschaft, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 55 (2003),
S. 31-58.
^ Die historische Bedeutung bestimmter Akteure richtig einzuschätzen, ist ein Hauptproblem
jeder Geschichtsschreibung und vorliegende Untersuchung kann selbstverständlich nicht
behaupten, dieses Problem grundsätzlich gelöst zu haben. Angestrebt wird aber ein syste-
matischeres Vorgehen und hieraus resultieren in der Tat häufig Abweichungen von älteren
Forschungspositionen. Dies gilt etwa für die Ermittlung der Ursachen des staufischen Vater-
Sohn-KonRikts 1234/35, welche im Kapitel 4.3 näher zu diskutieren sind. So haben BoRCHARDT,
Der Aufstand und BROEKMANN, Rigor iustitiae, die sich zuletzt mit diesem Problem beschäftigt
haben, m.E. die Bedeutung nachgeordneter Akteure - des fränkischen Adels bzw. der Stadt
Worms - bei der Genese des KonRikts deutlich überschätzt.
^ Auch der traditionell arbeitende Historiker legt in seiner Darstellung nie die Gesamtheit der
von ihm betrachteten Daten offen, sondern nur jene, die für seine Argumentation von Belang
sind. Dies wird auch in der folgenden Darstellung so gehalten. Ansonsten kann nur allgemein
auf die aus der Bibliographie ersichtliche Quellen- und Literaturgrundlage der Datenbank
verwiesen werden.
'"3 Zum Begriff der Relation und zu grundlegenden Relationsinhalten siehe JANSEN, Netzwerk-
analyse, S. 58ff. Die - durchaus mögliche - Beschränkung auf eine Relation, etwa die Ver-
wandtschaft, hätte die Erkenntnismöglichkeiten der Untersuchung von vornherein stark
eingeschränkt. Aus Verwandtschaft allein - dies zeigt schon das Nibelungenbeispiel - lässt
sich politische Gruppenbildung im konkreten Falle nicht begründen. Zu politisch-personalen
Bindungen im Hochmittelalter allgemein siehe etwa KLAUS VAN EicKELS, Tradierte Konzepte
in neuen Ordnungen. Personale Bindungen im 12. und 13. Jahrhundert, in: SCHNEIDMÜLLER /
WEiNFURTER (Hgg.), Ordnungskonfigurationen, S. 93-125.
1. Politische Verflechtungen im spätstaufischen Reich
Interpretation der netzwerkanalytischen Befunde in konventioneller Weise mit im Blick
zu behalten'^ - etwa wenn ihr Handeln den Anlass zu Systemverschiebungen gegeben
hat.172
Die Grundsätze, nach denen historische Informationen in Verfiechtungsdaten über-
führt werden, bilden eine weitere zentrale Vorentscheidung über das Bild, das sich mittels
eines Netzwerkmodells von einem historischen Sachverhalt, hier also der Reichspolitik
gewinnen lässt. MissZRiyf dieser allein in der Hand des Bearbeiters liegende Übersetzungs-
vorgang, beziehungsweise lässt er sich nicht mit hinreichender Sicherheit durchführen,
da das Material allzu disparat und vieldeutig ist, wäre jede weitere Analyse zum Schei-
tern verurteilt. Nun kann wegen der immensen Materialfülle eine völlige Offenlegung
der Datenbasis hier nicht geschehen. Immerhin soll im Folgenden das Spektrum der
relevanten und signifikanten Relationen, welche bei der Datenerhebung berücksichtigt
wurden, im Allgemeinen vorgestellt werden.'^ Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf
der Frage, inwieweit es möglich ist, konkrete historische Sachverhalte regelgeleitet und
möglichst eindeutig in abstrakte Verflechtungstatbestände zu übersetzen.
Daran, dass die Verwandtschaft eine nicht nur sozial sondern auch politisch höchst
wichtige Relation war, ist entgegen aller Relativierungen durch die neuere Forschung
Der Verzicht, bestimmte Akteure ins Netzwerkmodell aufzunehmen, bedeutet keineswegs,
sie zu ignorieren. Sie tauchen vielmehr in indirekter Weise sowohl im Netzwerkmodell als
auch in der historischen Interpretation wieder auf. Das Reichskloster Lorsch z.B. stellte in
den 1220er Jahren keinen eigenständigen politischen Akteur mehr dar, der Streit um dasselbe
bildete aber einen zentralen Stein des Anstoßes im Verhältnis zwischen Mainz und der Pfalz
seit den 1230er Jahren und lässt sich somit als Ursache häufig konfliktischer Beziehungen
zwischen beiden benennen. Vgl. hierzu FRIEDRICH KNÖPP, Das letzte Jahrhundert der Abtei:
vom Ende des Investiturstreits bis zu den Auseinandersetzungen um die Selbständigkeit der
Abtei, in: DERS. (Hg.), Die Reichsabtei Lorsch. Festschrift zum Gedenken an ihre Stiftung 764,
1. Teil, Darmstadt 1973, S. 175-226, und STEFAN WEiNFURTER, Der Untergang des alten Lorsch
in spätstaufischer Zeit. Das Kloster an der Bergstraße im Spannungsfeld zwischen Papsttum,
Erzstift Mainz und Pfalzgrafschaft, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 55 (2003),
S. 31-58.
^ Die historische Bedeutung bestimmter Akteure richtig einzuschätzen, ist ein Hauptproblem
jeder Geschichtsschreibung und vorliegende Untersuchung kann selbstverständlich nicht
behaupten, dieses Problem grundsätzlich gelöst zu haben. Angestrebt wird aber ein syste-
matischeres Vorgehen und hieraus resultieren in der Tat häufig Abweichungen von älteren
Forschungspositionen. Dies gilt etwa für die Ermittlung der Ursachen des staufischen Vater-
Sohn-KonRikts 1234/35, welche im Kapitel 4.3 näher zu diskutieren sind. So haben BoRCHARDT,
Der Aufstand und BROEKMANN, Rigor iustitiae, die sich zuletzt mit diesem Problem beschäftigt
haben, m.E. die Bedeutung nachgeordneter Akteure - des fränkischen Adels bzw. der Stadt
Worms - bei der Genese des KonRikts deutlich überschätzt.
^ Auch der traditionell arbeitende Historiker legt in seiner Darstellung nie die Gesamtheit der
von ihm betrachteten Daten offen, sondern nur jene, die für seine Argumentation von Belang
sind. Dies wird auch in der folgenden Darstellung so gehalten. Ansonsten kann nur allgemein
auf die aus der Bibliographie ersichtliche Quellen- und Literaturgrundlage der Datenbank
verwiesen werden.
'"3 Zum Begriff der Relation und zu grundlegenden Relationsinhalten siehe JANSEN, Netzwerk-
analyse, S. 58ff. Die - durchaus mögliche - Beschränkung auf eine Relation, etwa die Ver-
wandtschaft, hätte die Erkenntnismöglichkeiten der Untersuchung von vornherein stark
eingeschränkt. Aus Verwandtschaft allein - dies zeigt schon das Nibelungenbeispiel - lässt
sich politische Gruppenbildung im konkreten Falle nicht begründen. Zu politisch-personalen
Bindungen im Hochmittelalter allgemein siehe etwa KLAUS VAN EicKELS, Tradierte Konzepte
in neuen Ordnungen. Personale Bindungen im 12. und 13. Jahrhundert, in: SCHNEIDMÜLLER /
WEiNFURTER (Hgg.), Ordnungskonfigurationen, S. 93-125.