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Gramsch, Robert; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Das Reich als Netzwerk der Fürsten: politische Strukturen unter dem Doppelkönigtum Friedrichs II. und Heinrichs (VII.) 1225 - 1235 — Mittelalter-Forschungen, Band 40: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34756#0128

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2.4. Verwicklungen im Westen des Reiches

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Worauf es in Farbtafel 20 ankommt, ist der Nachweis, dass die drei Familien, in
die Gertrud von Dagsburg nacheinander eingeheiratet hatte, verwandtschaftlich mit-
einander verbunden waren und dass dieser Verwandtschaftsverband 1225/26 einen
sehr auffälligen Verdichtungsschub durchmachte, indem drei neue Ehen geschlossen
beziehungsweise Eheprojekte vereinbart wurden (sie sind im Schema mittels roter Li-
nien hervorgehoben). Da Eheschlüsse im Mittelalter immer auch politische Bündnisse
beinhalteten, heißt dies, dass sich diese Familien damals regelrecht zu einem politischen
Block zusammenschlossen. Die Hintergründe dieses Vorganges verdienen eine nähere
Analyse, wobei die Annahme auf der Hand liegt, dass die Auseinandersetzungen um das
Erbe der Dagsburger, auf das die drei Familien angesichts ihres früheren Werbens um
Gertrud offenbar „ein Auge geworfen hatten", den tieferen Grund für diese Blockbildung
abgegeben haben könnten.
Den Kern des Verwandtschaftsverbandes bilden die Häuser Saarbrücken-Leiningen,
Limburg und Oberlothringen. Durch die Ehen zweier Töchter Herzog Friedrichs I. von
Lothringen (eines Neffen Friedrich Barbarossas)'^ sowie durch die Ehe Heinrichs III. von
Limburg mit Sophie von Saarbrücken waren diese Familien bereits in einem Heiratskreis
verbunden. 1225/26 kamen zwei weitere Eheverbindungen hinzu, durch die das Haus
Lothringen seine Anbindung an die beiden anderen Familien verstärkte. Verwandten-
gruppen dieser Art, in welchen die beteiligten Familien überdurchschnittlich häufig
Eheverbindungen untereinander eingehen, bezeichnet man als endogame (oder kognati-
sche) Verbände. In ihnen wird die im Adel ohnehin vorhandene strukturelle Endogamie
bis ins Extreme gesteigert. '^ Netzwerkanalytisch gesehen, handelt es sich hierbei um
Cluster oder Cliquen mit hoher Innen- und geringer Außendichte (da die Zahl der
verwandtschaftlichen Außenkontakte wegen des hohen „Binnenverbrauchs" von Heirats-
partnern entsprechend reduziert ist).^5 Karl-Heinz Spieß, der dieses Phänomen zuerst
genealogischen Zusammenhänge unwesentliche Familienmitglieder werden weggelassen. Vgl.
zu dieser Darstellungform das auch inhaltlich instruktive Beispiel bei SCHWEIZER, Muster
sozialer Ordnung, S. 225-233, insbes. S. 227f. Wie unpraktisch herkömmliche genealogische
Tafeln werden, wenn man das Konnubium mehrerer Geschlechter in einem Bild darstellen will,
zeigen die sehr schwer lesbaren Schemata bei SriEss, Familie und Verwandtschaft, S. 62-71.
153 ygi zu ihm WELLER, Heiratspolitik, S. 557-560.
Dass im Adel aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit ebenbürtiger Heiratspartner immer ein
relativ großes Maß an Endogamie bestand, ist bekannt. In den hier interessierenden kognati-
schen Verbänden geht sie aber über den Durchschnitt weit hinaus (siehe nächste Anmerkung).
Zur Verwandtschaftssoziologie allgemein und zur Endogamie mit ihren spezifischen sozialen
Funktionen vgl. insbes. CLAUDE LEVi-STRAUss, Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft,
1. Aufl., Frankfurt a.M. 1981 (zuerst 1949), insbes. S. 94-106.
155 Zur Definition von Clustern (Cliquen) und den Begriffen Innen- und Außendichte vgl. JANSEN,
Netzwerkanalyse, S. 193ff. Eine Soziomatrix, die größere endogame Verbände im Heirats-
netzwerk des deutschen Hochadels des 13. Jahrhunderts als Punktwolken visualisiert, ist
abgebildet bei GRAMSCH, Heiratsnetze, S. 33. In ihnen liegt die Innendichte im Bereich von
D = 0,6 bis 1,0, im Vergleich zu D = 0,06 im Gesamtnetzwerk. Ein weiteres Maß, um den
Grad der Endogamie zu bestimmen, ist die Zahl „redundanter Ehen", das sind solche, die zur
Herstellung einer vollständigen schwiegerschaftlichen Einheit einer Geschlechtergruppe nicht
mehr erforderlich sind: Um einen Verwandtschaftsring von n Geschlechtern zu schließen,
bedarf es (n-1) Ehen, alles, was darüber hinausgeht, ist „redundant". Im vorliegenden Fall
mit drei Familien hätte es dazu zweier Ehen bedurft, tatsächlich waren es innerhalb von
ca. 50 Jahren fünf, also mehr als doppelt so viele wie nötig. Allerdings macht es erst bei
einer größeren Zahl von Familien (wenigstens fünf) Sinn, von einem endogamen Verband
zu sprechen, da enge Verflechtungen einer Dreier- oder Vierergruppe von Geschlechtern
sehr häufig Vorkommen. Ich beabsichtige, diese allgemeinen Befunde zur Clusterbildung im
 
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