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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 6.1907

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Nr. 1
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Servaes, Franz: Leopold Bauer
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https://doi.org/10.11588/diglit.23633#0015
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VI
r. Kr-t not .ra. ra.ra k* lx :
MODERNE BAUFORMEN
| MONATSHEFTE FÜR ARCHITEKTUR
1

LEOPOLD BAUER
VON DR. FRANZ SERVAES-WIEN

Ein deutlicher Sprosse aus der Schule Otto Wag-
ners, nimmt Leopold Bauer dennoch heute im
Wiener Kunstleben eine durchaus persönliche
Stellung ein. Er ist nicht so typisch wie Josef
Hoffmann und nicht so exotisch wie etwa Olbrich
(der trotz Darmstadt seinen Wiener Ursprung nicht
verleugnen kann). Vielleicht könnte man sagen, er
sei wienerisch - typisch mit exotischem Einschlag.
Doch wäre damit sein Wesen ebensowenig erschöpft,
als wenn man, gleichfalls mit Berechtigung, sich
dahin auslassen wollte, dass Bauer ein Rationalist
mit phantastischem Einschlag oder dass er ein
Radikal-Moderner mit konservativem Einschlag sei.
Er ist alles dieses und ist mehr. Ist jedenfalls noch
irgend etwas anderes, das der Formulierung wider-
strebt. Ist, kurz heraus, eine künstlerische Persön-
lichkeit und ist vor allem ein im vollen Werdestrom
sich rührender schöpferischer Mensch. A
V Also da gibt es keine Etikette. Da ist bei aller
Klarheit, Logik, Bestimmtheit doch zuviel Mystik.
Zuviel Unbegreifbarkeit, zuviel fröhlicher Selbst-
widerspruch, zuviel aufschiessende Laune, zuviel
spöttische Menschlichkeit. Und Menschlichkeit
heisst Veränderlichkeit, trotz aller Statik der
Systeme, trotz aller Wucht kämpferischer Ueber-
zeugungen. V
V Auf diese vielseitig-schillernde Doppelnatur im
Wesen Leopold Bauers werden wir zu achten haben.
Als moderner Mensch ist er voller Entwürfe, Kom-
binationen, Analogieschlüsse, experimentierender
Ideen. Er stürzt sich mit Begeisterung in neue
Möglichkeiten, auf die verheissungsvolle Anwendung
neuer Techniken für neue Bedürfnisse und Ge-
schmacksreizungen. Aber als historisch geschulter
und besonnen abwägender Architekt besitzt er zu-
gleich in sich das Zügelungsmittel: jenen tiefen
Respekt vor den dauernden Errungenschaften des
geschichtlich Gewordenen, jenes fast religiöse Be-
wusstsein von der Unerschütterlichkeit und Heilig-
keit des in Jahrtausenden Erwachsenen. Und darum

weiss er, dass alles Neue nur durch eine Notwendig-
keit gerechtfertigt werden kann und dass ohne die
Kontrolle zwingender Bedürfnisse die phantasievolle
Laune nur ein flüchtiges Spiel ist und nimmermehr
die Schöpferin bleibender, in die Zeit ragender
Werke werden kann. Keinem Künstler ist diese
Erkenntnis so notwendig als dem Architekten.
Denn keine Kunst ist derart den Jahrhunderten
tributpflichtig, keine in solchem Grade an die kon-
kretesten Bedürfnisse und Gewöhnungen der Men-
schen gebunden wie die seinige. Diese Bedürfnisse
und Gewöhnungen aber sind, mögen auch noch so
viele Hilfsmittel neuer Befriedigungen gefunden
werden, seltsam konstant. Sie können verfeinert,
bereichert, veredelt werden, aber sie verlangen
immer wieder dasselbe — auch wo modische Laune
die alten Forderungen mit bizarren Einfällen um-
kleidet. Darum ist die Kunst des Architekten in ihren
Grundelementen fast garnicht veränderlich. Und nur
wo neue Materialanwendungen, wie das Eisen, oder
neu zu lösende Aufgaben, wie die Schöpfung von
Bahnhöfen oder der Bau von Maschinen auftauchten,
sah sie sich vor völlig unberührte Probleme gestellt.
Auch Museen, Parlamente, Theater erforderten die
Aufstellung neuer Bautypen und sind in vielen
Punkten auch heute noch nicht zu ihrer Vollendung
gereift. Aber bei Kirchen, Wohnhäusern, Palästen,
Monumenten hat die Vergangenheit schon derartig
feste Grundlinien gezogen, dass es sich nur um
eine möglichst gescheite, praktische und feinfühlige
Anwendung auf die jeweilige Lebensweise der
Menschengeschlechter dabei handeln kann. In
diesen Fällen — den weitaus häufigsten — wird
demnach der Ehrgeiz des Architekten sich zu be-
scheiden haben. Doch je weiter seine künstlerische
Persönlichkeit reicht, desto weniger wird der Archi-
tekt in dieser Selbstbescheidung eine Hemmung
erblicken. Desto differenzierter werden sich ihm
die Aufgaben darstellen, die er im engen Anschluss
an das Gewordene und Ueberkommene mit leise
 
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