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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 6.1907

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Nr. 9
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Wanscher, Wilhelm: Moderne dänische Architektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.23633#0479
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Rg
9
n
VI
MODERNE BAUFORMEN
MONATSHEFTE FÜR ARCHITEKTUR

MODERNE DÄNISCHE ARCHITEKTUR
VON WILHELM WANSCHER - KOPENHAGEN

Wenn man von einer nationalen Schule der
Baukunst in Dänemark reden kann, so gebührt
es vor allem, jene Denkmäler der Vergangenheit zu
nennen, die man seit den Jahren 1830—40 mit gutem
Erfolg für die moderne Bauweise studiert hat. Die
Restaurierungsarbeiten, die nach manchen schmerz-
lichen Fehlgriffen jetzt in eine künstlerische und
wissenschaftliche Spur, namentlich durch Professor
Herrn. Storch, gelenkt worden sind, haben dabei
manches getan. Vor den Verirrungen eines zufäl-
ligen Geschmackes schützen diese methodischen
Messungen und liebevollen Wiederherstellungen
alter Gebäude, wodurch zugleich der Sinn für das
Grundlegende und das Verständnis der Gesetze
einer natürlichen Entwicklung gepflegt werden. Von
Bedeutung für unsere moderne Architektur sind u. a.
die kraftvollen, schlichten Ritterburgen des 16. Jahr-
hunderts, im Stile des Ueberganges vom Mittelalter
zur Renaissance, noch bevor die niederländischen
Einflüsse mit dem Bau des imposanten Kronborg
bei Helsingör der einheimischen Kunst einen ent-
schieden fremdartigen Einschlag gaben. Die älteren
Burgen wie Borreby bei Skelskör (Südwest-Seeland)
und Hesselagergaard bei Nyborg (Fühnen) sind, wie
die Florentiner und Sieneser Paläste des 13. und
14. Jahrhunderts, wahrhaft klassisch in ihrer Art.
Es sind wie diese mehrstöckige, viereckige Häuser
mit gut gelegtem, hohem Schwerpunkte und kraft-
vollen Konturen. V
V Denselben Geschmack am Soliden findet man
noch in einigen Kirchen des 17. Jahrhunderts, wie
S. Trinitatis mit „Runde Taarn“ zu Kopenhagen, ein
wahrer Koloss, dessen bedeutender Umfang und
Grösse noch durch den Gegensatz zu der kleinen
Umgebung der beengten Gasse gesteigert werden.
Merkwürdig bleibt es dabei, dass dieselbe Zeit auch
solche niedliche malerische Gebäude schuf wie die
Börse, die Rosenborg und die Holmens Kirche (um
1620) im gewöhnlichen Stil der Renaissance. Der

italienische Einfluss siegte um 1700; aus dieser Zeit
haben wir mehrere stattliche Barockbauten in Kopen-
hagen und Umgebung. Als typische Beispiele seien
der Reithof in Christiansborg ca. 1740 und die
Strasse „Amaliegade“ erwähnt. Hier steht das
„gelbe Palais“, von dem Franzosen Jardin gebaut,
und die jonische Kolonnade von seinem Schüler
Harsdorf, der vielleicht die klassizistische Richtung
mit derselben Reinheit des Gefühles, wie später
Thorwaldsen, vertrat. V
V Die Bestrebungen des 19. Jahrhunderts waren
aber in erster Linie gegen die römisch-italienischen
Bautraditionen gerichtet; auch von der einheimischen
Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts verstand man
lange nichts. Wie überall im Zeitalter der Heiligen
Alliance wurde auch bei uns das Gute in der Ferne
gesucht, das Nächstliegende und tatsächlich Wert-
volle geschmäht und allmählich vertilgt. Der kluge
Deutsche Gottfried Semper spricht um dieselbe
Zeit in seinem Pamphlet „Ueber bemalte Archi-
tektur bei den Alten“ 1834, die prophetischen Worte
aus: dass wir am Ende selber vergessen wollen,
welchem Jahrhundert wir angehören. V
V Ein vorzüglicher Künstler, der Erbauer des
„ThorwaldsensMuseum“, M. G. Bindesböll, leitete
die Bewegung ein. Er war als junger Mann in
Gesellschaft mit H. C. Örsted nach Paris gegangen,
wo er bei Gau verkehrte — wie später Gottfried
Semper in seinem unfreiwilligen Pariser Aufenthalt.
Nach Beendigung seiner akademischen Studien im
Jahre 1834 ging Bindesböll nach Italien und Griechen-
land, wo er alles betrachtete und studierte. Um
dieselbe Zeit entwarf er mehrere Pläne für das
Museum, bald in ägyptischem oder griechischem,
bald in pompejanischem und florentinischem Stile.
1839 wurde das erwähnte ägyptisch-griechische Werk
in Angriff genommen. Es ist vielleicht die beste
Arbeit eines dänischen Architekten im 19. Jahr-
hundert geworden. V

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