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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 6.1907

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Nr. 4
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Gesellius, Lindgren und Saarinen
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https://doi.org/10.11588/diglit.23633#0204
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VI
1 MODERNE BAUFORMEN
1 MONATSHEFTE FÜR ARCHITEKTUR
4

GESELLIUS, LINDGREN UND SAARINEN

Die drei tüchtigsten finnischen Architekten haben
das Glück, jung zu sein. Ein beispielloser
Erfolg hat ihnen binnen wenigen Jahren in dem
kleinen Lande die unbedingte Hegemonie verschafft.
Sie haben eine Menge Privatbauten und die wesent-
lichsten öffentlichen Aufträge der letzten Zeit er-
halten. Die bedeutendste Aufgabe ist der Bahnhof
in Helsingfors, der den hässlichen kleinen Kasten,
der bisher diente, durch eine durchaus grossstädtische
Anlage ersetzt. Soweit man nach den Zeichnungen
urteilen kann — der Bau ist noch nicht fertig —
handelt es sich um einen sehr stattlichen Monu-
mentalbau, den die Nützlichkeitsvorschriften nicht
um die Originalität bringen. Die Ausführung in
behauenen Quadern bis zum Dach hinauf, wobei
selbst die kolossalen Bogen, die doch wohl im
wesentlichen nur zum Schmuck der Fassade dienen,
mit diesem mächtigen Material ausgefüllt werden,
kokettiert zwar mit einer etwas zu weit gehenden
Betonung des nordischen Charakters und entspricht
nicht ganz dem feinen Verständnis, das man in der
inneren Ausstattung des Gebäudes bemerkt. Auch
das neue finnische Nationalmuseum ist in demselben
Material gehalten, aber hier passt die Anlage besser
dazu. Die Mischung von Kastell und Kirche ist
glücklich gefunden und das Verhältnis der Vorbauten
zu dem eigentlichen Körper des Gebäudes zeugt
überall von sicherem Blick. V
V Die Fassade des Bankhauses muss man in Wirk-
lichkeit gesehen haben, um die prächtige Wirkung
des reich geschmückten Erkers würdigen zu können.
Eine unendliche Sorgfalt ist auf seine Detaillierung
verwendet. Er wirkt gleichsam wie ein goldenes
Pincenez auf dem nüchternen Gesicht der Fassade.
Da eine Fassade immer nur aus Mauer und Fenstern
bestehen kann, muss sie vor allem ein richtiges
Gesicht haben. Das gibt ihr in unserem Falle allein
der Erker. Denn die Fenster sind Oeffnungen ziem-
lich willkürlicher Art, ohne organischen Zusammen-

hang mit der Fläche der Mauern. Auch das ori-
ginelle Kranzgesims scheint nur dazu da, den
asketischen Verzicht auf die Gliederung des Mauer-
werkes zu erhöhen. Im Inneren ist alles ungemein
appetitlich; die Wellenlinie der Wandbemalung
unterbricht angenehm die vielen strengen vertikalen
und horizontalen Linien der Raumteilung. Aller-
dings hätte für die Träger der Tische eine bessere
Lösung gefunden werden können, als die runden
Säulen mit dem abgedroschenen Dreieckmuster, das
uns so einfallsreiche Künstler nicht mehr vorsetzen
sollten. Künstler, die das Ornament mit solch
souveräner Schöpferkraft beherrschen und — ver-
wenden, sodass man oft versucht wird, zu fragen:
Warum nicht die viele Liebe und Zeit, notabene auch
das Geld, das man für Zieraten verschwendet, auf die
Hauptsache konzentrieren? Ein gutes Verhältnis
der Hauptlinien ist hundertmal mehr wert, als alles
Ornament. Man hat zuweilen bei diesen, wie bei
so vielen modernen Architekten den Eindruck, als
ob das Gerippe des Baues nach einem flüchtigen
Einfall entstanden sei, während die Kleinigkeiten
mit minutiöser Sorgfalt ausgeführt werden. Die
schönen Bogen der Wiborger Bahnhofshallen, die
mustergiltig genannt werden können, wären durch
keinerlei Details noch so prächtiger Art zu ersetzen.
Es ist eine wahre Wohltat, hier keinerlei Schmuck
zu finden. V
V Andere mögen anders denken. Es ist auch nicht
zu leugnen, dass die Verneinung des schmückenden
Ornamentes nur zu leicht wie Armut des Erfindens
aussieht. Hier gilt es eben auch, wie überall, die
goldene Mittelstrasse zu finden. Dass Künstler, die
so begabt sind wie die drei Finnen, auf dem besten
Wege dazu sind, zeigen die paar Abbildungen, die
wir von ihrem eigenen Landhause bringen können.
Es ist nicht nötig, dass sie, wie ein Freund ihrer
Kunst neulich behauptete, zur Abstinenz schwören,
zehn Jahre lang kein Ornament mehr anrühren sollten.
— O —
 
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