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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 6.1907

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Nr. 12
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Osborn, Max: Emil Schaudt
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https://doi.org/10.11588/diglit.23633#0653
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12
VI
1 MODERNE BAUFORMEN
| MONATSHEFTE FÜR ARCHITEKTUR

EMIL SCHAUDT
VON DR. MAX OSBORN-BERLIN

In zwei breiten Armen flutet der Entwicklungsstrom
der neuen Baukunst dahin. Auf der einen Seite
steht das Prinzip des modernen Forschergeistes, der
den Organismus jedes Dinges im Kern erfassen
möchte, und pocht auf sein Recht. Auf der andern
tritt die unvertilgbare Menschensehnsucht nach
schöpferisch-freiem Spiel mit der Materie auf und
macht ihre Forderungen geltend. Der Nutzbau und
der Schmuckbau, der (mit Richard Dehmel zu reden:
„von jedem Zweck genesen“) lediglich dem Streben
nach monumentalem Ausdruck des Zeitempfindens
dient: das rein praktischer Bestimmung dienende
Bauwerk und das moderne Architektur-Denkmal
stehen an den Endpunkten. Das Eisen, das seit einem
halben Jahrhundert (schon seit dem Industriepalast
der ersten Weltausstellung zu London im Jahre 1851)
immer energischer in die Baukunst eindrang, führte,
über ähnliche Bemühungen vergangener Jahrhun-
derte weit hinausgehend, zu einer architektonischen
Sprache, die in der absoluten Klarlegung des kon-
struktiven Gefüges neue ästhetische Werte und
Reize fand. Aber auch der alte Stein blieb nicht
müssig und suchte dem neumodischen Eindring-
ling ein Paroli zu bieten, indem er der straffen
Schlankheit und Leichtigkeit dieses fabrizierten
Gesellen die eindringlichere Betonung der eigenen
natürlichen Wucht und Schwere entgegensetzte.
Dort ging die Baukunst mit der Wissenschaft des
Ingenieurs eine Ehe ein; hier suchte sie sich aus
ihrem Wesen heraus auf eigene Faust zu ver-
jüngen. Dort spiegeln sich die analytischen, hier
die synthetischen Tendenzen des Zeitalters; dort
seine geschärfte Vernunft, hier seine nach langem
Schlummer wiedererwachte Phantasie. V
V Indessen die beiden Stromläufe beginnen all-
mählich sich einander zu nähern oder gar zu be-
rühren. Die ältere Generation von heute hatte
sich die Arbeit zunächst geteilt. Die Neuheit der
modernen Gedanken auf beiden Seiten war im
Anfang so überwältigend, die Aufgaben, die es zu

durchdenken galt, waren so schwierige, dass jede
vorderhand einen ganzen Mann verlangte. Bei den
Angehörigen des jüngeren Geschlechts ist die Schei-
dung nicht mehr so schroff. Ueber den beiden
Entwicklungskreisen wird das höhere Prinzip: dem
Empfindungsgehalt der Gegenwart, den verschie-
denen Zwecken entsprechend auf verschiedene
Art, in tektonischen Gebilden konkrete Gestalt zu
geben, als einigende Macht sichtbar. Die Zeit wird
kommen, wo die Ströme wieder in ein Bett Zu-
sammenflüssen .... V
V Es war im Januar 1902, als ich in Hamburg
beim Durchschreiten der schier unzähligen Ent-
würfe zur Bismarck-Denkmal-Konkurrenz plötzlich
vor dem Modell mit der Bezeichnung „Erster
Preis“ stand. Das gab einen Ruck nach all dem
mittelmässigen, gleichgültigen und schablonenhaften
Zeug, das man hatte Revue passieren lassen. Noch
war durch keine Aufschrift zu ersehen, wer der
Schöpfer des herrlichen Entwurfs sei. Doch dass
nur Hugo Lederer der Bildhauer dieser in grossen
Linien stilisierten Bismarckfigur sein konnte, musste
jedem Kenner der jungdeutschen Plastik auch ohne
Plakat fast als ausgemacht erscheinen. Wer aber
war der Architekt, der diesen grandiosen Aufbau
ersonnen? Man zerbrach sich den Kopf. Schmitz?
Rieth? Kreis? Ein Unbekannter konnte es doch
nicht sein! .... Seitdem man dann erfuhr, dass
es der Berliner Architekt Emil Schaudt sei, der
das ausserordentliche Werk geschaffen habe, hat
man den Namen nicht mehr vergessen. V
V Fünf Jahre vergingen. Der Hamburger Roland-
Bismarck hatte seine Gegner längst besiegt und
sein granitener Unterbau war bereits aus Riesen-
quadern auf dem Hügel vor St. Pauli gefügt, als
die weitere Oeffentlichkeit in Berlin von dem
jungen Baumeister, der inzwischen fleissig, aber
geräuschlos seinem Beruf nachgegangen war, zum
zweitenmal Kenntnis nahm. Am Bauzaun des

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