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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 6.1907

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Nr. 12
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Osborn, Max: Emil Schaudt
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https://doi.org/10.11588/diglit.23633#0654
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474

Emil Schaudt

Riesengeländes am Wittenbergplatz draussen auf
Charlottenburger Gebiet, wo das kolossale „Kauf-
haus des Westens“ aus dem Boden stieg, prangte
eine Tafel mit der stolzen Aufschrift: „Ausführung
durch Boswau und Knauer, Architekten“. Aber
wie stets, fragte man sich, wer denn diesmal der
Architekt sei, der für die „Architekten“ der
grossen Unternehmerfirma die künstlerische Arbeit
geliefert habe; und die Antwort lautete: Emil
Schaudt. V
V Alle Wetter! da hatte man also einen Bau-
meister, von dem man eigentlich nur zwei Arbei-
ten kannte, und just diese stellten sich als „Ver-
treter“ der oben genannten „Endpunkte“ heraus.
Ein Denkmal und ein Warenhaus — so war also
in dieser Personalunion die Versöhnung der Gegen-
sätze schon erfolgt? V
V Wirklich; wer sich näher mit der Gesamtheit
der bisherigen Arbeiten Emil Schaudts beschäftigt,
erkennt, dass seine glückliche Begabung ihn mit
merkwürdig-selbstverständlicher Sicherheit bei
jeder architektonischen Aufgabe der logischen
Lösung zuführt, mag sie sich mit dieser oder mit
jener Grenze des weiten Gebiets berühren. V
V Bei keinem deutschen Denkmal, das neben der
Plastik die Architektur bemühte, ist der erstrebte
Ausdruck von Kraft und Wucht und Macht so
wundervoll gelungen wie beim Hamburger Bis-
marck. Der ungeheure, alles überwindende Wille
des Eisenmenschen, der hier gefeiert werden sollte,
konnte in der Sprache der Baukunst sinnbildlich
nicht machtvoller gefasst werden als durch diese
trotzigen, aber von weiser und reifer Ordnung ge-
bändigten Granitblöcke. Die Baugedanken alter
Festungs- und Turmarchitekturen, die Grabmals-
kunst heroischer Vorzeiten, ferne Erinnerungs-
klänge an zyklopische Hünengräber, an die schwei-
gende Majestät der Theoderich-Stätte bei Ravenna,
an romanische Säulengruppen tönen zusammen
und verschmelzen sich zu einem ganz persönlichen
und selbständigen Werk. Wie die starre Sparsam-
keit der Linien den Bau auf die Notwendigkeit
einer lapidaren Silhouette beschränkt; wie die
Kontraste breitgelagerter Horizontalen und drohen-
der Vertikalen, die den Roland vorbereiten, zur
Wirkung herangezogen sind; wie die Lagerung der
Schichten von der weitzügigen Rustika der un-
regelmässig-regelmässig gefügten untersten Quadern
zu den glatteren Wandungen der oberen Mauer-
gürtel und der immer kunstreicher profilierten
Riesenborten hinaufführt; wie die vorspringenden
pfeilerartigen Steinklötze die Ruhe des gigantischen
Postaments temperamentvoll unterbrechen; wie sich
die gewaltige Breite in pathetischen Absätzen zum

Sockelrund verjüngt, — das alles schliesst sich zu
einem der grössten Effekte zusammen, deren die
Denkmalsarchitektur überhaupt fähig ist. V
V Ein Künstler, der solch ein Werk geschaffen
hatte, konnte freilich nicht geneigt sein, der as-
ketischen Vernunft des gotisch-modernen Stein-
Eisenstils zu huldigen, wo sie nicht mit zwingen-
der Gewalt ihre Forderungen präsentierten. War
dies der Fall, wie bei dem Ind u s t r i e h au s in
der Warschauerstrasse zu Berlin, in dem Räum-
lichkeiten für eine grosse Reihe von Fabriketa-
blissements hergestellt werden mussten, so ergab
sich die einfache Auflösung des Hauptteils der
Fassade in nur durch schmale Pfeiler getrennte
Fensterreihen als der natürlich gebotene Weg.
Aber daneben machte sich auch hier der Wunsch
nach einer ernsten und gehaltenen Monumental-
ausgestaltung geltend. Das Erdgeschoss wird in
Bogen zerlegt, die mit den rechtwinkligen Fenster-
rahmen darüber kontrastieren. Seine Rustika-
blöcke dringen an dem wuchtigen Eckturm, der
ganz frei altmärkische Erinnerungen weckt, höher
in die Backsteinwand ein, und am entgegengesetzten
Ende ist in der Muschelkalkfassade der reicher
geschmückten Sonderpartie der Haustein völlig
zur Herrschaft gelangt. Mit diesem Bauglied, dessen
Erkerfiankierung des Mittelstücks und dessen zwei-
reihige Dachfenster schon einen Vorklang der
Tauenzienstrassenfront des Kaufhauses bilden,
korrespondiert dann der niedrige Turmvorbau mit
der Terrasse. V
V Bei dem Warenhaus im Westen selbst aber ist
Schaudt noch einen bedeutsamen Schritt weiter
gegangen. Er hat hier mit der frischen Energie
des schöpferischen Künstlers das Schema über-
wunden, das sich die zahllosen Nachahmer des
Messelschen Wertheimbaus aus diesem klassischen
Muster gebildet hatten. Ist er gleich bei diesem
Bemühen im Aeussern wie im Innern seines
Hauses am Wittenbergplatz um ein tüchtiges Stück
hinter der stolzen Monumentalwirkung, hinter der
freien Leichtigkeit der architektonischen Entwick-
lung und vor allem hinter der grandiosen Einheit
von Alfred Messels Meisterwerk zurückgeblieben,
so hat er dafür nach so vielen geistlosen Ab-
schreibern des grossen Vorbildes ein Beispiel da-
für gegeben, wie man dessen Anregungen völlig
selbständig verwerten und fortentwickeln kann. Die
berechtigten Zweifel, ob es denn in allen Fällen
beim Geschäftshaus geraten ist, auch in den oberen
Stockwerken (wo Schaufensterrücksichten nicht
mehr in Betracht kommen und die Lichtverhält-
nisse auch in enger Strasse bessere sind als im
Erdgeschoss) die Wand schlechthin aus eisen-
 
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