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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 6.1907

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Nr. 3
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Lehmann, Arthur: Professor Hermann Billing - Karlsruhe
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https://doi.org/10.11588/diglit.23633#0138
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Professor Hermann Billing-Karlsruhe

noch stärker und anschaulicher in den Perspek-
tiven dem Fachmanne in die Augen fällt, ist die
grandiose Platzgestaltung, die stets wuchtige ge-
schlossene, in den Seiten langsam ausklingende
Bilder ermöglicht. Durch das Zurückschieben des
grossen Hauptkomplexes von den Verkehrswegen
werden die für solche Massen von allen Seiten er-
forderlichen Standpunkte in Wirklichkeit ge-
schaffen, so dass diese Perspektiven sich nicht nur
ideal auf dem Papier, sondern auch nach der
Ausführung ergeben. Es mag an dieser Stelle auch
auf die stets vornehme und ernste Art der Dar-
stellung Billings hingewiesen werden, die so-
zusagen fast jede schmückende Staffage verschmäht,
um Linien und Formen deutlicher in die Erscheinung
treten zu lassen; und wie oft wird durch solche an
sich unwesentliche Dinge der Bildeindruck beein-
flusst, wenn nicht gar im Massstab verändert. „Die
Architektur ist eine rein abstrakte Kunst.“ V
V Betrachten wir nun den Aufbau nach seiner inne-
ren Bestimmung, nach seiner äusseren Wirkung.
Eine in gewaltigen Abmessungen gehaltene Aus-
stellungs- bezw. Festhalle schliesst sich an einen
Bühnenraum an, der sich wiederum nach einem
grossen Amphitheater öffnet, sodass die Bühne
nach zwei Seiten benutzt werden kann. Eingänge,
Vestibüle sind dementsprechend beiderseitig vor-
gelagert. Eine geräumige Garderobe-Anlage ver-
bindet den Ausstellungsbau mit dem kleinen Kon-
zerthaus, an das sich zentral situiert der Restau-
rationsbau mit Terrassen und Gärten anfügt. Die
grosse Hauptachse: Ausstellungshalle — Bühne —
Theater wird durch das grundrissliche Anschmiegen
der beiden Gebäude für Kunst und Industrie noch
stärker betont. Wenn je der Vergleich von Bau-
kunst und Musik, weil diese gleichfalls abstrakte
Kunst, angebracht ist, hier klingt eine mächtige
Bausymphonie, die wie jedes Kunstwerk gegliedert
und geeint, in deutlich ausgesprochenen Sätzen sich
zur Höhe entwickelt, die den geistigen und formalen
Inhalt im bedeutsamsten Momente zum Ausdruck
bringt, im Bühnenhaus, von dem aus wir auch inner-
lich unsere Genüsse als Werke tönender Kunst
empfangen. Das ist eigentlich so selbstverständlich,
ergibt sich schliesslich auch aus der Konstruktion,
aber die Art und Weise wie dieser Gedanke syn-
thetisch aufgebaut und verkörpert ist, erfüllt den
denkenden, künstlerisch empfindenden Beschauer
mit Verehrung für den geistigen Schöpfer. Und wenn
wir ins Detail gehen, nirgends ein schmückendes
Beiwerk, das sich nicht gleichsam als unwesentlich
der grossen Form unterordnet. Wo es jedoch auf-
tritt, ist es gewissermassen zur Belebung der Fläche
bedingt. Das ist das Signum werdender grosser

Kunst, dass auch der künstlerische Schmuck seine
innere Berechtigung hat, die ihn vom Ganzen un-
löslich macht. V
V Wie Billing seine Massen zur Tat werden lässt,
veranschaulicht uns die nun bald ihrer Vollendung
nahende Kunsthalle in Mannheim. Das erste
Stockwerk der Seitenflügel, die sich an den reprä-
sentativen Kuppelbau symmetrisch anschliessen, er-
hält Seitenlicht, der zweite Stock Oberlicht. An
den Kuppelbau fügt sich rückwärts ein durchgehen-
der hoher Oberlichtsaal. Organisch ergeben sich
daher die langen Reihen der Fenster des Erd-
geschosses, ein breites Gurtgesimse bildet den Fen-
stersturz, darüber erheben sich die den Raum be-
grenzenden lückenlosen Mauerflächen. Aber weiches
Leben wusste der Künstler in diese scheinbare
Monotonie der Flächen zu legen: Die Fenster-
gewände erforderten als Tragglied eine kräftige Aus-
bildung; gleichsam aufgelöst setzen sie sich in
schmalen, leicht geschwellten Lisenen bis zum wenig
ausladenden Hauptgesims fort. Die Mauerflächen
ergeben hierdurch den Eindruck einer angenehm
wirkenden Leichtigkeit. Doch nicht nur Schmuck
bedeuten diese Formen; das Gurtgesims hat einen
starken Eisenbetonanker aufgenommen, weicherden
weit gelagerten und an manchen Stellen weit ge-
spannten Bau sicher umklammert. Die Lisenen
enthalten Bündel von Eisenstäben zur Verstärkung
der Eisenbeton-Hintermauerung der Sandsteinfas-
saden. Ueberall fühlt man den denkenden Künst-
ler. Den Mittelpunkt der Anlage krönt der Kuppel-
bau, welcher auch den Haupteingang aufnimmt. Wie
die langgestreckten niedrigen Seitenflügel, die Reihe
der Fenster, das ununterbrochene Hauptgesims, das
glatte flache Dach die Horizontalwirkung ergeben,
so strebt hier alles zur Höhenentwicklung. Die
mächtigen Treppenwangen vermitteln den Ueber-
gang, dann steigt Linie um Linie empor bis zu den
figurenbekrönten Säulenenden, bis zur flachen, leise
ausklingenden Kuppel. Will nun der eine oder
andere der Sprache des Künstlers auch nicht in
allen Teilen dieses Hauses folgen, man mag ein-
wenden, der Gesamteindruck sei als der eines
Kunstausstellungsgebäudes zu nüchtern, der wenige
plastische Schmuck, der zum Teil in Form von
zierlichen, sehr flach gehaltenen kleinen Köpfchen
am Hauptgesims auftritt, sei an unwirksamer Stelle
angebracht u. s. w. — es wird doch jeder künst-
lerisch empfindende Mensch vor diesem Werk halt
machen und es bewundern als den vornehmen
würdigen Ausdruck einer monumentalen, ernsten
Ruhe, einer kraftvollen sicheren, ungesucht origi-
nellen Künstlernatur. V
V Will man Billings Eigenart kennzeichnen, so ist es
 
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